Wie viele Muslime gibt es in Deutschland

Berlin/New York.  Diese Studie dürfte für Gesprächsstoff sorgen: Das renommierte Pew Research Center projiziert, dass 2050 jeder fünfte Mensch in Deutschland ein Muslim sein könnte. Das ist das weitgehendste von drei Modellen und in Teilen schon von der Realität überholt. Aber auch ohne jede weitere Zuwanderung steigt der Bevölkerungsanteil von Muslimen bis 2050 auf 8,7 Prozent, so die Projektion. 2010 lag er bei 4,1 Prozent.

Die Forscher des von einer gemeinnützigen Stiftung getragenen Centers haben aus allen EU-Ländern, Norwegen und der Schweiz Bevölkerungsstruktur, reguläre Zuwanderung und Flüchtlingszustrom ausgewertet. Dann haben sie auf Grundlage der Daten bis Mitte 2016 hochgerechnet, wie sich der Anteil der muslimischen Bevölkerung bei drei verschiedenen Szenarien entwickeln wird. Die Wissenschaftler betonen, dass sie keine Vorhersagen treffen wollen: „Diese drei Entwürfe sind vielmehr Projektionen, wie sich Europa unter verschiedenen Umständen entwickeln könnte.“

Szenario 1 – keinerlei Zuwanderung mehr

2050 leben sechs Millionen Muslime in Deutschland, ein Bevölkerungsanteil von 8,7 Prozent. Diese Hochrechnung ist in Teilen schon überholt. Die Zahl der neuen Asylanträge ist zwar seit August 2016 (89.000 Anträge in dem Monat) drastisch zurückgegangen, im Jahr 2017 wurden allerdings bis Ende Oktober auch noch 167.573 Anträge mehrheitlich von Muslimen gestellt – und es ist nicht absehbar, dass Deutschland sich völlig verschließt. Diesen Fall angenommen würde die Zahl von Muslimen in Deutschland bis 2050 um rund eine Million steigen.

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Die nicht-muslimische Bevölkerung schrumpft um fast 14 Millionen auf knapp 63 Millionen – sie ist älter und bekommt weniger Babys. Die Hälfte der muslimischen Bevölkerung in Deutschland ist jünger als 31, bei den Nicht-Muslimen ist die Hälfte älter als 47. Pew zufolge bekommen muslimische Frauen in Deutschland im Schnitt 1,9 Kinder, nicht-muslimische 1,4. Diese Werte nähern sich allerdings an, je länger Menschen in Deutschland leben.

Bei diesem Szenario wäre nach Zypern Frankreich 2050 das Land mit dem höchsten Anteil (12,7 Prozent) und der höchsten absoluten Zahl von Muslimen (8,6 Millionen). Muslimanteil in Europa: 7,4 Prozent.

Szenario 2 – mittlere Zuwanderung

2050 leben 8,5 Millionen Muslime in Deutschland, ein Bevölkerungsanteil von 10,8 Prozent. Dieses Szenario geht davon aus, dass ab Mitte 2016 nicht mehr nennenswert Flüchtlinge nach Europa kommen, aber Zuwanderung aus anderen Teilen der Welt weiter stattfindet. Der geschätzte Wert liegt etwas höher als bei der jüngsten Projektion von Pew aus dem Jahr 2015, als ein Anteil von 9,4 bis 10 Prozent hochgerechnet wurde.

Wegen der Flüchtlingswelle wurden die Projektionen neu berechnet. Demnach hätte Schweden bei dem mittleren Modell 2050 mit 20,5 Prozent den höchsten Bevölkerungsanteil von Muslimen nach Zypern, die meisten Muslime absolut würden in Großbritannien leben (13 Millionen). Muslimanteil in Europa: 11,2 Prozent.

Szenario 3 – starke Zuwanderung

2050 leben 17,5 Millionen Muslime in Deutschland, ein Bevölkerungsanteil von 19,7 Prozent. Hier unterstellt die Studie, dass sich reguläre Zuwanderung und Zustrom von Menschen wie während der Flüchtlingskrise so fortsetzen.

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Auch das ist so nicht zu erwarten, die Flüchtlingszahlen sind bereits deutlich zurückgegangen, die Asylpolitik in Deutschland wurde mehrfach verschärft. Die EU schirmt ihre Außengrenzen zudem immer stärker ab und verspricht zumindest die Bekämpfung von Fluchtursachen. Allerdings kann etwa der Klimawandel Konflikte auslösen oder verschärfen und große Flüchtlingsbewegungen auslösen.

Deutschland wäre das Land mit den meisten Muslimen in Europa

Bei diesem Szenario wäre Deutschland dann das europäische Land, in dem die meisten Muslime leben, ihr Bevölkerungsanteil würde höher liegen als in Frankreich (18 Prozent). Am höchsten wäre er in Schweden mit 30,6 Prozent.

Weil Großbritannien fast keine Flüchtlinge aufnimmt, gibt es in diesem Modell auf der Insel kaum einen Unterschied zu Szenario 2. Pew geht bei den deutschen Zahlen zugleich davon aus, dass jeder dritte Asylbewerber das Land wieder verlassen muss und rechnet diese Menschen nicht in die Projektion ein. Die Wissenschaftler räumen aber ein: Würden alle Muslime bleiben, die sich in einer rechtlichen Schwebe befinden, hätte das weitreichende Auswirkungen auf alle Szenarien. Muslim-Anteil in Europa: 14 Prozent.

Die meisten Muslime in Deutschland kommen aus der Türkei

Woher die bereits in Deutschland lebenden Muslime kommen: Fast drei Viertel leben schon viele Jahre in Deutschland oder wurden hier geboren. 2011 stammten 67,5 Prozent aus der Türkei. Rund 1,2 Millionen Muslime sind nach einer Hochrechnung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von Mai 2011 bis Ende des Jahres 2015 nach Deutschland gekommen. Pew rechnet dagegen nur mit dauerhaft in Deutschland bleibenden Muslimen und schätzt, dass deren Zahl zwischen Mitte 2010 und Mitte 2016 um 850.000 gestiegen ist. 270.000 sind demnach reguläre Zuwanderer, 580.000 sind Flüchtlinge muslimischen Glaubens, die dauerhaft bleiben werden.

Deutsche schätzen Anteil der Muslime viel zu hoch ein

Wie die Deutschen den Anteil der Muslime einschätzen: Viel zu hoch. In einer Studie des britischen Meinungsforschungsinstituts Ipso Mori schätzten die Deutschen im Schnitt den Anteil auf 21 Prozent und glaubten, er werde 2020 bei 30 Prozent liegen. Die Deutschen waren mit dieser viel zu hohen Schätzung nicht alleine, in Frankreich lag der reale Anteil bei 7,5, der vermutete bei 31 Prozent, in den USA war das Verhältnis bei 1 zu 17 Prozent. Eine große Bedrohung sehen Pew zufolge 28 Prozent in Flüchtlingen aus muslimischen Ländern wie Syrien und Irak, 49 Prozent eine kleinere und 22 Prozent keine Bedrohung.

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Wie viele Muslime leben in Deutschland? 20 Millionen, so schätzt es der Durchschnittsdeutsche. 4,4 bis 4,7 Millionen, sagt dagegen eine neue Studie. Atheisten wollen die "Kulturmuslime" nicht mitzählen und kommen auf noch kleinere Werte. In einer teilweise postfaktischen Debatte wird mit Zahlen so auch Politik gemacht.

Von Christian Röther | 06.01.2017

Der Frage, wie viele Muslime in Deutschland leben, ist zuletzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nachgegangen – im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz. Die Migrationsforscherin Anja Stichs hat die Studie erstellt und schreibt zusammenfassend:

"In Deutschland lebten am 31. Dezember 2015 zwischen 4,4 und 4,7 Millionen Muslime. Bei einer Einwohnerzahl von insgesamt 82,2 Millionen Personen in Deutschland ergibt sich, dass der Anteil der Muslime zwischen 5,4 Prozent und 5,7 Prozent liegt."

Anders ausgedrückt: In Deutschland gibt es etwa so viele Muslime wie Menschen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt zusammen. Deutschstämmige Konvertiten wurden dabei nicht mitgezählt. Über sie liegen zu wenige Daten vor. Die Zahl der Muslime in Deutschland könnte also noch etwas höher sein.

"Jeder vierte Muslim ist erst kürzlich zugewandert"

Das Bundesamt hat die Zahlen ermittelt, indem es verschiedene Studien und Erhebungen ausgewertet hat: seine eigene Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" aus dem Jahr 2009, darüber hinaus den Zensus 2011 sowie das Ausländerzentralregister. So wurde berücksichtigt, dass in den vergangenen Jahren viele Menschen aus islamisch geprägten Staaten nach Deutschland gekommen sind – zumeist, um hier Asyl zu suchen. In der Studie heißt es:

"Gut jeder vierte Muslim ist erst kürzlich nach Deutschland zugewandert. Seit der Zensuserhebung im Mai 2011 bis Ende des Jahres 2015 sind rund 1,2 Millionen muslimische Männer und Frauen nach Deutschland gekommen. Der Anteil der neu Zugewanderten an allen Muslimen beträgt 27 Prozent."

Nur noch jeder zweite Muslim stammt aus der Türkei

Jeder vierte Muslim in Deutschland lebt hier also erst seit wenigen Jahren. Dadurch ist der Anteil der Muslime an der Gesamtbevölkerung gestiegen, so die Studie. 2011: rund vier Prozent. 2015: rund fünfeinhalb Prozent. Die neuen Muslime stammen vor allem aus Südosteuropa und dem Nahen Osten. Dadurch ist der Anteil der türkischstämmigen Muslime in Deutschland zurückgegangen, erklärt die Studie:

"2,3 Millionen der in Deutschland lebenden Muslime haben ihre Wurzeln in der Türkei. Ihr Anteil an allen Muslimen beträgt 50 Prozent. Knapp 800.000 Muslime stammen aus dem Nahen Osten. Die drittgrößte Gruppe mit gut 500.000 Personen setzt sich aus südosteuropäischen Muslimen zusammen."

Wie viele Muslime gibt es in Deutschland

Der Islam in Deutschland wird vielfältiger: Ein syrischer Flüchtling spricht in der Ditib-Moschee Chorweiler mit dem Vorsitzenden Hakan Aydin. (dpa/ picture-alliance/ Oliver Berg)

Man kann sich die Zahlen auch geographisch vorstellen: In Deutschland gibt es etwa so viele türkischstämmige Muslime wie Menschen in Sachsen-Anhalt. Die Muslime aus dem Nahen Osten entsprechen in etwa der Bevölkerung von Frankfurt am Main. Und es gibt etwa so viele Muslime aus dem Iran wie Menschen in Gießen. Die Liste ließe sich fortsetzen. Die Studie schließt daraus:

"Muslimisches Leben wird vielfältiger"

"Da insbesondere Muslime aus zuvor weniger stark vertretenen Herkunftsregionen nach Deutschland gekommen sind, vollzieht sich gleichzeitig ein Diversifizierungsprozess. Das muslimische Leben in Deutschland ist vielfältiger geworden."

Es gibt allerdings auch Zweifel an den Zahlen des Bundesamtes. Hintergrund: Als Muslim wird oft gezählt, wer aus einem islamisch geprägten Land stammt. Dabei bleibt unklar, ob sich die Person tatsächlich als muslimisch versteht.

Darauf weist die 'Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland' hin, ein Projekt der religionskritischen Giordano-Bruno-Stiftung. Sie geht davon aus, dass in Deutschland zuletzt 3,6 Millionen "konfessionsgebundene Muslime" lebten – also etwa eine Million weniger, als das Bundesamt annimmt.

Die religionskritische Forschungsgruppe erklärt das damit, "dass viele Menschen, die sich als Muslime bezeichnen, damit nur die Zugehörigkeit zum muslimischen Kulturkreis ausdrücken, nicht jedoch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten muslimischen Konfession. Ähnliches ist von säkularen Juden bekannt, die sich, obwohl sie mit dem religiösen Judentum nichts zu tun haben, weiterhin als 'Juden' verstehen. In den gängigen Religionsstatistiken werden diese säkularen Juden nicht dem religiösen Judentum zugerechnet. Entsprechend sollten auch die reinen 'Kulturmuslime' nicht zur Gruppe der konfessionsgebundenen Muslime gezählt werden."

"Jeder Fünfte ein Kulturmuslim?"

Die Forschungsgruppe geht davon aus, dass 20 Prozent der Muslime in Deutschland "Kulturmuslime" sind. Die Religionskritiker weisen zudem darauf hin, dass es ebenso schwer zu zählen sei, wer nicht mehr Muslim ist. Wie viele ehemalige Muslime leben hier – Ex-Muslime, die etwa zum Christentum oder zum Atheismus konvertiert sind?

Also: viereinhalb Millionen Muslime in Deutschland oder doch eher nur dreieinhalb? Die deutsche Bevölkerung stellt sich die Zahl der Muslime ganz anders vor – viel höher, wie das Meinungsforschungsinstitut Ipsos Ende vergangenen Jahres bekannt gab:

"Der prozentuale Anteil an Muslimen in Deutschland wird weit überschätzt. Einer von fünf Menschen in Deutschland sei muslimischen Glaubens, schätzen die Befragten. Damit ist der geschätzte Anteil vier Mal höher als die reale Zahl."

20 Millionen geschätzte Muslime – dieser Wahrnehmung setzt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Zahlen entgegen. Die können zwar kritisiert werden, sie versachlichen aber eine Debatte, die oft postfaktisch geführt wird.