Warum kommt man so schwer von einem Narzissten los

Warum kommt man so schwer von einem Narzissten los

Ist er nicht toll? Nee, ist er nicht. Er glaubt es bloß. Und wehe, wenn jemand anderer Meinung ist. Dann zeigt der Narzisst ganz schnell, was für ein übler Typ er wirklich ist

Klar, ein bisschen Gockel steckt in den meisten von uns. Wir leben im Zeitalter des Narzissmus, heißt es oft leichthin. Und tatsächlich: Narzisstische Züge hat jeder von uns. „Die brauchen wir, um unser Selbstwertgefühl stabil zu halten“, sagt die Psychotherapeutin Dr. Bärbel Wardetzki. Mit Lob, Anerkennung und Liebe stärken wir unser Ego. Schwierig wird es, wenn gar kein Selbstwertgefühl vorhanden ist und jemand ständig „narzisstische Zufuhr“ benötigt, um sich überhaupt wert zu fühlen.

Dann ist Vorsicht geboten. Die Autorin des Buches „Eitle Liebe. Wie narzisstische Beziehungen scheitern oder gelingen können.“ (Kösel) spricht statt von einem „Narzissten“ lieber von einem „Menschen mit narzisstischen Strukturen“. „Und das reicht von ganz stark bis ganz schwach“, sagt die Psychotherapeutin. Geradezu gefährlich werden können solche Menschen vor allem dann, wenn man mit ihnen eine romantische Beziehung führen will. Wir verraten, wie Sie einen „Menschen mit narzisstischen Strukturen“ (im Folgenden nennen wir ihn kurz „Narzisst“) erkennen, und wie Sie am besten mit ihm umgehen.

Wer in eine Beziehung mit einem Narzissten gerät, glaubt am Anfang meist, den Traumprinzen oder die Traumfrau gefunden zu haben: Er trägt einen auf Händen, lässt rote Rosen regnen und betont ständig, wie froh er ist, einen gefunden zu haben. „Love Bombing“ nennt Christine Merzeder diese Strategie. Sie war zwölf Jahre mit einem narzisstischen Partner zusammen – und danach ein psychisches und physisches Wrack. Mit ihrem gerade erschienenen Buch „Wie schleichendes Gift. Narzisstischen Missbrauch in Beziehungen überleben und heilen“ (Scorpio) will sie auf die Opfer aufmerksam machen.

„Wenn am Anfang alles zu schön ist, um wahr zu sein – ist es das auch meistens“, resümiert sie. Meist sagt einem schon ein ungutes Bauchgefühl, dass man am Haken eines Egomanen zappelt: Weil es sich seltsam anfühlt, wie er einen auf den Sockel hebt („Du bist die schönste Frau der Welt), unglaubwürdig, dass er all unsere Hobbys teilt, übergriffig, wenn er im Restaurant für einen mitbestellt, kurzum „immer ’ne Ecke zu toll“, wie Bärbel Wardetzki es treffend und salopp formuliert.

Auf Wolke sieben ist es leicht, das Chaos darunter zu ignorieren. Etwa, dass Mr. Right anderswo verdammt viel verbrannte Erde hinterlassen hat: Mit seiner Firma pleitegegangen, x-fach geschieden, mit der Ex heillos zerstritten, zum Kind keinen Kontakt mehr ... Aber das liegt natürlich nicht an ihm: „Typisch für Narzissten ist es, immer anderen die Schuld an ihren Problemen zuzuschieben“, sagt Psychotherapeutin Wardetzki. Aufmerksam werden sollte man auch, wenn man im Vergleich mit vorherigen Partnern allzu gut abschneidet: „Die haben mich nur ausgenutzt – aber mit dir ist alles anders.“ Ein weiteres gängiges Muster: Beziehungshopping: Die Glut der letzten Partnerschaft ist vermutlich noch warm, wenn er ein neues Liebesfeuer anfacht.

Der Grund, warum sich Narzissten oft so schnell wieder auf eine neue Beziehung einlassen oder mehrere gleichzeitig führen: „Narzissten sind wie Junkies“, sagt Merzeder, „sie können nicht ohne narzisstische Zufuhr sein.“ Dass das Gegenüber für sie kein Mensch mit eigenen Gefühlen, Wünschen und Bedürfnissen ist, merkt man erst allmählich. „Sie haben kein Wir-Gefühl“, sagt Bärbel Wardetzki. Sie suchen keinen Partner auf Augenhöhe, sondern einen Spiegel, der ihnen ihre eigene Großartigkeit vor Augen hält. „Unser Lied“ gibt es nicht, es läuft immer nur die „Ich, ich, ich“-Schallplatte. Typisch auch: „Man kommt im Gespräch mit ihm nicht zu Wort. Er fragt nicht „Wie geht es dir?“ und vergisst wichtige Daten der Partnerin“, sagt Bärbel Wardetzki.

Warum kommt man so schwer von einem Narzissten los

„Narzissten werten sich selbst auf, indem sie ihr Gegenüber manipulieren, emotional ausbeuten und abwerten“, so Merzeder

Ist die Honeymoon-Phase erst einmal vorbei, fahren Narzissten die Krallen aus: „Sie werten sich selbst auf, indem sie ihr Gegenüber manipulieren, emotional ausbeuten und abwerten“, so Merzeder. Die Person, die eben noch die Nummer eins für ihn war, sieht sich auf einmal heftigem Kreuzfeuer ausgesetzt. Für die kleinsten „Verfehlungen“ gibt es heftige Szenen, in Gesellschaft fährt er einem über den Mund, kritisiert Aussehen, Outfit oder Allgemeinbildung. Als „Mikrogewalt“ bezeichnet Merzeder solche verbalen Attacken. Dem gilt es, schnellstmöglich einen Riegel vorzuschieben: „Wehren Sie sich gegen verletzendes Verhalten des anderen“, sagt Bärbel Wardetzki. „Setzen Sie Grenzen.“ Aber rechnen Sie damit, dass Mr. oder Mrs. Ego es gar nicht lustig findet, wenn Sie Kontra geben: „Mit Kritik können Narzissten überhaupt nicht gut umgehen“, sagt Bärbel Wardetzki. „Wenn man etwas anderes will als sie, kommt es schnell zum Machtkampf.“

Besonders perfide sind die Angriffe, mit denen der Narzisst seinen Partner oder seine Partnerin bombardiert, weil sie häufig die Achillesfersen treffen: „Du bist so dick“, wenn man gerade mit ein paar Kilos zu viel ringt, „Du bist so unglaublich dumm“, wenn man als Kind in der Schule gelitten hat. Narzissten suchen bei ihrem Gegenüber gezielt nach den Schwachstellen, so Christine Merzeder. Sie bezeichnet die Strategie als „Abrastern“ einer Person. Dagegen halten kann man nur, wenn man mit sich im Reinen und psychisch stabil ist. „Stehen Sie zu sich und dem, wie Sie sind“, rät Psychotherapeutin Wardetzki. Wer ein starkes Selbstbewusstsein hat, wird von den abwertenden Bemerkungen des anderen nicht gleich umgehauen, sondern kann sie einschätzen als das, was sie sind: verzweifeltes Bemühen um Aufmerksamkeit. Psychotherapeutin Wardetzki rät dazu, klare Grenzen zu setzen und deutlich eigene Wünsche und Bedürfnisse zu äußern. „Der Umgang mit Narzissten erfordert Fingerspitzengefühl“, sagt sie – und starke Nerven.

Während man über kleine Sticheleien eventuell noch hinwegsehen und Machtkämpfe überstehen kann, gibt es noch perfidere Methoden, mit denen Menschen mit extrem narzisstischen Strukturen ihre Opfer in Beziehungen quälen. In ihrem Buch schildert Merzeder die Strategie des „Gaslighting“. Die Bezeichnung geht zurück auf den 40er-Jahre-Film „Gaslight“ (deutsch: „Das Haus der Lady Alquist“), in dem ein Mann versucht, seine junge Ehefrau in den Wahnsinn zu treiben. Durch Lügen und Manipulationen soll das Opfer so verunsichert werden, dass es seiner eigenen Wahrnehmung nicht mehr traut. Zerstochene Reifen, unauffindbare Geldsummen, seltsame Übelkeit nach gemeinsamen Mahlzeiten – das Arsenal ist vielfältig. Christine Merzeder hat in einem Selbsthilfeforum für Opfer narzisstischen Missbrauchs über 1000 Betroffene betreut. „Manche haben aufgrund solcher Manipulationen sogar Suizidversuche begangen“, sagt sie.

Nicht nur, dass extreme Narzissten mit der Selbstwahrnehmung ihres Partners spielen – dazu kommt oft noch, dass die Ego-Blutsauger versuchen, den Partner vor anderen als unglaubwürdig, albern oder gar bösartig darzustellen oder die Beziehung nach außen abzuschotten, indem Freunde, Bekannte oder die Familie als schlechter Umgang dargestellt werden, so wie Christine Merzeder es erlebt hat. Ihr Ex-Mann, erzählt sie, versuchte ihr einzureden, ihr Bruder habe sich abfällig über sie geäußert. „Er wollte einen Keil zwischen uns treiben“, sagt sie. Sie ließ sich davon jedoch nicht beirren, pflegte weiter Kontakt zu Freunden und Familie – sehr wichtig, um die Beziehung nicht als einziges Lebenselixier wahrzunehmen und im Falle einer Trennung (siehe Punkt 10) Verbündete zu haben.

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Bloß nicht den Kontakt zu Freunden und Familie verlieren

Psychologen wie Bärbel Wardetzki sind der Meinung, dass sich in narzisstischen Beziehungen häufig komplementäre Partner finden, dass sich oft ein „grandioser“ Narzisst und ein „depressiv-minderwertiger“ zusammentun. Der schwächere Part bezieht seine Zufuhr daraus, den anderen zu bewundern. Christine Merzeder ist anderer Ansicht: „Jeder von uns kann auf einen Narzissten reinfallen, auch seelisch stabile Menschen.“ Auf keinen Fall dürfe man sich daraus einen Vorwurf machen. Das sagt auch Psychotherapeutin Wardetzki: „Die Schuld für eine verkorkste Partnerschaft mit einem Narzissten allein bei sich selbst zu suchen, wäre vollkommen verkehrt. Das bringt nichts. Narzissten sind häufig nicht beziehungsfähig.“ Menschen, denen es allein nicht gelingt, aus dem Labyrinth der „eitlen Liebe“ herauszufinden, rät sie, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Christine Merzeder etwa hat mit dem Narcissistic Abuse Recovery Program (NARP) der Australierin Melanie Tonia Evans Hilfe gefunden.

Merzeder ist sogar überzeugt: „Narzissten können sich nicht ändern.“ Einer der berühmtesten Narzissmusforscher, Psychoanalytiker Otto Kernberg, sagte mal, die häufig geäußerte Annahme, Narzissten seien therapieresistent, stimme nicht: „Mit zunehmendem Alter greifen Therapien besser, denn da wächst auch der Leidensdruck.“ Vor der Midlife-Crisis ist es jedoch unwahrscheinlich, dass Mr. Ego zu Dr. Love wird. „Er sucht sich einfach sein nächstes Opfer“, sagt Merzeder.

Der Sonnenkönig oder die Sonnenkönigin hat einmal zu oft den Bogen überspannt? Wer beschließt, sich von ihm/ihr zu trennen, sollte sich gut vorbereiten, rät Merzeder. Wenn man ihm den Ego-Sauerstoff abdreht, wird er nämlich ungemütlich. Man müsse mit Aggression, Stalking und Schmierkampagnen rechnen, sagt sie. Bärbel Wardetzki erklärt: „Ein Narzisst muss immer recht haben, eine Trennung, die nicht von ihm ausgeht, wird ihn daher irrsinnig verletzen.“ Vorwürfe gegen ihn, etwa in einem Scheidungsprozess oder Sorgerechtsstreit, müsse man gut belegen können, sagt Merzeder: „Narzissten gelingt es oft, Mediatoren oder Richter für sich einzunehmen, sodass das Opfer dann als der Übeltäter dasteht.“ Missen möchte sie die Erfahrung mit ihrem Narzissten trotzdem nicht: „Das hat mich stark gemacht“, sagt sie heute.

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Eine Trennung vom Narzissten kann ungemütlich werden

Falls Sie einen emotionalen Egoisten mit Paarungsabsicht treffen, gilt: Rennen Sie, so schnell Sie können!

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