Wie viele Atome befinden sich in einem Staubkorn?

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Wie viele Atome befinden sich in einem Staubkorn?

Ein Atom besteht aus einem Kern und einer Elektronenhülle. Wird mindestens eines dieser Elektronen sehr hoch angeregt, spricht man von einem Rydbergatom. Diese Atome mit ganz besonderen Eigenschaften setzen Forscher wie Tilman Pfau von der Universität Stuttgart unter anderem dazu ein, um ganz neue Arten von Molekülen zu erschaffen.

Im Juli 1913 stellte der Physiker Nils Bohr sein Modell eines Atoms vor: Demnach kreisen darin Elektronen um einen punktförmigen, positiv geladenen Kern – wie ein Planet um seine Sonne. Dabei sind allerdings nur bestimmte Kreisbahnen erlaubt, zwischen denen ein Elektron hin- und herspringen kann, wenn es Energie in Form von Licht aufnimmt oder aussendet.

Wie viele Atome befinden sich in einem Staubkorn?

Tilman Pfau von der Universität Stuttgart

Tilman Pfau: „Das Potenzial eines Kerns auf das Elektron ist ein Coulomb-Potential, das sich ähnlich wie das Gravitationspotenzial zwischen der Sonne und einem Planeten verhält. Je mehr Energie ein Planet hat, desto weiter außen in diesem Potenzial befindet er sich, und desto größer ist seine Umlaufbahn und desto länger ist auch seine Umlaufzeit. Das ist bei den Elektronen nicht anders.“

Dieses semiklassische Bild ist inzwischen überholt und durch ein quantenmechanisches Modell ersetzt worden: Demnach kreisen die Elektronen nicht auf festen Bahnen um den Atomkern, sondern haben nur eine bestimmte Aufenthaltswahrscheinlichkeit, die mit dem Abstand vom Kern abnimmt. Die Bahnen weichen den sogenannten Elektronenorbitalen – Volumen, in denen sich ein Elektron mit einer großen Wahrscheinlichkeit befindet. Eine Ausnahme bilden sogenannte Rydbergatome – sie lassen sich gut mithilfe des Bohrschen Atommodells beschreiben:

„Während normale Atome Größen im Bereich von Angström haben, also zehn hoch minus zehn Metern, können Rydbergatome zehntausend Mal so groß sein, also so groß wie oder noch größer als ein Mikrometer.“

Diese Ausmaße kommen dadurch zustande, dass sich eines der Elektronen in einer sehr weit außen liegenden Bahn beziehungsweise einem sehr hohen Energieniveau befindet. Die Größe des Rydbergatoms spielt auch bei seiner Lebensdauer eine Rolle. Denn wenn ein Elektron auf ein höheres Energieniveau springt, bleibt es in der Regel nur extrem kurz in diesem angeregten Zustand. Danach gibt es die überschüssige Energie wieder ab und kehrt in seinen Grundzustand zurück.

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„Normale angeregte Zustände haben Lebensdauern im Bereich von zehn Nanosekunden. Rydbergatome dagegen können zehn Mikrosekunden und in bestimmten Zuständen sogar zehn Millisekunden bestehen. Das liegt ebenfalls an der Größe und daran, dass der spontane Zerfall dadurch behindert wird, dass das Elektron sozusagen nicht mehr zurückfindet in den kleinen Anfangszustand, aus dem es gekommen ist.“

Rydbergatome kommen natürlich vor allem im interstellaren Medium vor: Das diffuse Gemisch aus Gas und Staub ist oft energetisch angeregt. Wenn ein Elektron aus dem Rydbergzustand in einen niedrigeren Energiezustand zurückkehrt, können Astronomen auf der Erde die dabei freigesetzte Strahlung nachweisen.

Um ein Rydbergatom künstlich zu erzeugen, muss man dem Elektron eine bestimmte Energiemenge zuführen. Prinzipiell lassen sich alle Atome zu Rydbergatomen anregen. Im Labor verwenden Forscher wie Tilman Pfau und seine Kollegen dazu meist Rubidium.

„Wir nehmen, weil es technisch einfacher ist, zwei Photonen, also zwei Energiepakete, statt nur einem – und zwar ein rotes und ein blaues Photon. Mit diesen beiden Photonen erreicht man fast jeden Rydbergzustand, den man untersuchen möchte – einfach, indem man diese beiden Farben auf Rubidiumgas einstrahlt.“

Rubidium eignet sich gut, da sich das äußerste Elektron mithilfe von Lasern leicht in einen Rydbergzustand anregen lässt. Bestrahlen die Forscher allerdings viele, freie Rubidiumatome, also ein Rubidiumgas, mit Laserlicht, wird innerhalb eines Umkreises jeweils nur ein einzelnes Atom zu einem Rydbergatom angeregt. Denn dieses Rydbergatom verhindert, dass auch seine Nachbarn angeregt werden: Sie bleiben also im energetischen Grundzustand.

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Die Elektronendichte eines Rydbergmoleküls

„Bei einem so großen Atom befinden sich in diesem Atom mehrere andere Grundzustandsatome. Bei einem Rydbergatom mit einer Größe von einem Mikrometer können sich bei einem normalen Gas durchaus tausend normale Atome innerhalb dieses Elektronenorbitals befinden. Die Frage ist: Was passiert in diesem Fall? Schließlich ist es kein leeres Atom mehr, sondern zwischen dem Elektron und dem Kern gibt es jetzt ein Medium aus Grundzustandsatomen.“

Bei Untersuchungen fand das Team um Tilman Pfau heraus: Eines oder auch mehrere dieser Grundzustandsatome binden sich an das Rydbergatom. So entsteht eine ganz neue Art von Molekül, das mit einer Größe von rund einem zehntel Mikrometer größer als manche Viren ist. Dessen Lebensdauer ist zwar auf wenige Millionstel Sekunden begrenzt – danach kehrt das Rydbergatom wieder in den Grundzustand zurück und das Molekül zerfällt. Aber die Forscher konnten eine bislang unbekannte Art der molekularen Bindung bei diesen Rubiudiummolekülen nachweisen.

Rydbergmolekül und Rydbergatom sind sogar so groß, dass sie rein von ihren Ausmaßen her sogar mit optischen Mikroskopen sichtbar gemacht werden könnten – genauer gesagt ihre Elektronenorbitale. Je nach Anregungszustand zieht das Elektron nicht nur Kreise um einen Atomkern. Stattdessen kann es sich in einem kugel-, kegel- oder torusförmigen Bereich um den Kern aufhalten: Aus der Theorie kennen Wissenschaftler die Elektronenorbitale zwar sehr gut – wirklich sichtbar konnten diese bislang aber noch nicht gemacht werden.

„Wir können es noch nicht mit dem optischen Mikroskop sehen, weil es ja nur ein einzelnes, hochangeregtes Elektron ist. Aber das ist tatsächlich eines unserer Forschungsziele: ein Elektronenorbital wirklich unter einem Mikroskop sichtbar zu machen. Ein einzelnes Elektron kann man natürlich so optisch nicht sehen. Man braucht dafür so etwas wie ein Kontrastmittel, das die Elektronendichte sichtbar macht. Dafür wollen wir ein sehr kaltes Gas nutzen.“

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Energieniveaus in einem Rubidiumatom

Als Kontrastmittel für die Elektronenorbitale wollen Tilman Pfau und seine Kollegen ein Bose-Einstein-Kondensat verwenden. Ein solches Kondensat besteht aus ultrakalten Atomen, die sich wie eine Superflüssigkeit ohne innere Reibung verhalten.

„Wir bringen ein Rydbergatom in ein Bose-Einstein-Kondensat hinein. Dadurch, dass es so kalt ist, spürt es dieses einzelne Elektron und die sehr schwache Wechselwirkung mit diesem Elektron so, dass das ganze Bose-Einstein-Kondensat in das Orbital hineinfließen möchte.“

Das Bose-Einstein-Kondensat kann anschließend mikroskopisch sichtbar gemacht werden, und mit ihm das Elektronenorbital, in dem es sich aufhält. Tilman Pfau rechnet innerhalb des nächsten Jahres mit Ergebnissen: dem ersten echten Blick auf ein Rydbergatom.

Mithilfe der Thermodynamik beschreiben Wissenschaftler physikalische Systeme, die aus sehr vielen Teilchen bestehen – wie etwa Gase oder Flüssigkeiten. So lassen sich beispielsweise die Funktionsweisen von Kühlschränken oder Verbrennungsmotoren verstehen. Obwohl seit über hundert Jahren bekannt, sind einige fundamentale Größen der Thermodynamik kaum experimentell bestimmbar. Eine dieser Größen – die Entropie – konnten Dietmar Block und Frank Wieben von der Universität Kiel nun mithilfe von Staubpartikeln direkt messen. Wie das gelang, berichtet Dietmar Block im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Was ist Entropie?

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Dietmar Block und Frank Wieben

Dietmar Block: Entropie ist – ähnlich wie Energie – eine sehr nützliche Größe, mit der Wissenschaftler physikalische Systeme beschreiben. Der Physiker Ludwig Boltzmann hat die Entropie über das mikroskopische Verhalten eines Systems – also über das Verhalten der einzelnen Bestandteile – definiert. So hängt beispielsweise die Entropie eines Gases von der Bewegung der einzelnen Atome oder Moleküle in dem Gas ab. Würden sich alle Teilchen gleich bewegen – beispielsweise in Form einer Schwingung –, wäre das System in einem sehr geordneten Zustand. Ein solcher Zustand kommt sehr selten vor und hat eine niedrige Entropie. Viel häufiger bewegen sich die Teilchen eines Systems ungeordnet. Dieser Zustand ist leichter zu erreichen und hat eine höhere Entropie. Vereinfacht gesprochen kann man in vielen Fällen die Entropie als ein Maß für Ordnung auffassen.

Warum ist die Entropie eine so wichtige Größe?

Das Besondere an dieser physikalischen Größe ist, dass sie in einem abgeschlossenen System nie abnimmt. Diese Eigenschaft der Entropie ist auch als zweiter Hauptsatz der Thermodynamik bekannt. Damit lässt sich erklären, warum manche Prozesse in der Natur vorkommen und andere nicht: Vergrößert man etwa den Behälter eines Gases, wird sich das Gas in dem gesamten Behälter ausbreiten. Den umgekehrten Prozess allerdings – dass sich das Gas wieder in den ursprünglichen kleinen Raum zurückzieht – wird man nie beobachten. Dadurch würde sich nämlich die Entropie des Systems verringern. Von allen energetisch möglichen Prozessen können nur die beobachtet werden, bei denen die Entropie zunimmt. Diese Prozesse sind damit auch nicht umkehrbar. So gibt es beispielweise kein Perpetuum Mobile, also eine Maschine, die sich ohne weitere Energiezufuhr von außen von alleine bewegen kann.

Wie viele Atome befinden sich in einem Staubkorn?

Womit haben Sie sich nun beschäftigt?

Obwohl die Entropie eine so zentrale Größe ist und wir mit ihrer Hilfe zahlreiche thermodynamische Prozesse bereits gut beschreiben können, entzieht sie sich einer Messung auf mikroskopischer Skala. Denn Flüssigkeiten oder Festkörper bestehen aus mehreren Hundert Trilliarden Atomen oder Molekülen – viel zu viele, um sie einzeln zu untersuchen. Daher betrachtet man in der Thermodynamik meist nur sogenannte makroskopische Größen, wie etwa das Volumen oder die Temperatur eines Systems. Unser Ziel war es, von Boltzmanns Definition der Entropie auszugehen und in unserem Modellsystem die fundamentalen thermodynamischen Prinzipien zu untersuchen und insbesondere die Entropie auf mikroskopischer Skala direkt zu messen.

Wie haben Sie das gemacht?

Anstatt uns einzelne Atome oder Moleküle direkt anzuschauen, haben wir das Verhalten eines Modellsystems untersucht. Dazu dienten uns Staubpartikel in einem ionisierten Gas – einem sogenannten Plasma, das aus negativ geladenen Elektronen und positiv geladenen Ionen besteht. Durch die Elektronen im Plasma werden auch die Staubpartikel elektrisch aufgeladen – bis sie eine Ladung von etwa 10 000 Elektronen tragen und sich gegenseitig abstoßen. Sperrt man diese geladenen Partikel in einem elektrischen Feld ein, lassen sich viele dynamische Prozesse beobachten, die genauso wie in Flüssigkeiten oder Gasen ablaufen. Doch anstelle der hundert Trilliarden Atome oder Moleküle besteht unser Modellsystem nur aus wenigen Hundert Teilchen. Außerdem sind die Staubpartikel mit einigen Mikrometern groß genug, um sie mit einem Makroobjektiv und einer Kamera zu filmen. Entropie wird damit in diesem System mikroskopisch messbar.

Was haben Sie sich mit diesem Modellsystem angeschaut?

Wir können mit unserem Modellsystem nicht nur das Verhalten der Mikropartikel beobachten, wir können ihr Verhalten auch beeinflussen. Wenn wir etwa die Staubpartikel mit Laserlicht bestrahlen, geben die Lichtteilchen einen Teil ihres Impulses ab und verändern so die Geschwindigkeit der Staubpartikel. Wir können die Laser so einstellen, dass sich die Staubpartikel wie Atome in einem normalen Gas bei einer vorgegebenen Temperatur bewegen. So können wir uns anschauen, wie sich die Teilchen bei verschiedenen Temperaturen verhalten und jeweils die Entropie des Systems messen.

Was haben Sie dabei herausgefunden?

Unsere Messergebnisse stimmen sehr gut mit den Werten überein, die man theoretisch erwarten würde. Wir liefern damit den Beweis, dass unser Modellsystem den Gesetzen der Thermodynamik gehorcht. Davon ausgehend können wir uns jetzt komplexere Systeme anschauen, deren theoretische thermodynamische Beschreibung bislang noch nicht experimentell überprüfbar war.

Welche Fragen wollen Sie mit Ihrem Experiment noch untersuchen?

Bisher können wir vor allem einfache Systeme im thermodynamischen Gleichgewicht gut beschreiben – etwa Systeme, in denen überall die gleiche Temperatur herrscht. Doch indem wir die Laser anders einstellen, können wir gezielt Systeme erzeugen, die sich nicht im Gleichgewicht befinden. Damit können wir zukünftig theoretische Vorhersagen für diese Art von Systemen überprüfen. Eine weitere spannende Frage ist, wie klein ein System sein darf, damit es sich noch mit den Gesetzen der Thermodynamik beschreiben lässt. In beiden Fällen erforschen wir die Grenzen unserer physikalischen Modellvorstellungen.