Welche produkte werden mit kinderarbeit hergestellt

Herr Pütter, weltweit arbeiten 168 Millionen Kinder. Handelt es sich dabei nur um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse?
Der Großteil dieser Kinder arbeitet in der Landwirtschaft und das muss nicht ausbeuterisch oder gesundheitsschädlich sein. Ich setze bei den schlimmsten Formen von Ausbeutung an, etwa in den Steinbrüchen Indiens, wo Kinder aufgrund ihrer Arbeit nur eine Lebenserwartung von 30 Jahren haben. Für diese verbotene Kinderarbeit ist es schwierig, Zahlen zu nennen. Sie schwanken zwischen acht und 60 Millionen.

Auch auf Baumwollplantagen, etwa in Pakistan oder Usbekistan, müssen Kinder Zwangsarbeit leisten. Sind die Übergänge fließend?
Das stimmt, aber das betrifft nicht die ganz großen Zahlen. Insgesamt ist die Zahl der arbeitenden Kinder in den vergangenen 25 Jahren zurückgegangen. Sie hat sich von 300 Millionen fast halbiert, auch bei den schlimmsten Fällen. Aber es gibt auch Rückschritte, etwa in den Teppichknüpfereien in Indien. Hier war die Kinderarbeit fast auf null gesunken. Bei einer meiner letzten Reisen aber habe ich einmal mehr als 180 Kinder an Knüpfstühlen angetroffen und keines ist weggerannt. So normal ist es wieder, dass Kinder dort arbeiten. Das liegt auch daran, dass die Medien nicht mehr darüber berichten. Alle, die sich für Kinderrechte engagieren, brauchen einen langen Atem. Es reicht nicht, nur kurz aufzuschreien. Man muss dranbleiben.

Sollte man nicht lieber die Rechte arbeitender Kinder stärken, anstatt Kinderarbeit pauschal zu verbieten?
Das halte ich für Quatsch. Das ist so, als ob man sagen würde, wenn Kinder Sex mit Erwachsenen wollen, dann muss man sie darin bestärken. Kinder sollen eine Kindheit haben. Wenn Achtjährige wie in Bolivien arbeiten „dürfen“, dann lehne ich das ab, weil es Zukunft verhindert. Wenn 14- bis 18-Jährige nach der Schule arbeiten dürfen, ist das etwas anderes.

Viele Unternehmen und Teile der öffentlichen Hand haben Verhaltensregeln aufgestellt, um Kinderarbeit auszuschließen. Trotzdem kommt sie bei der Herstellung unserer Konsumgüter noch vor. Wie passt das zusammen?
Das liegt einmal daran, dass sich viele Menschen nicht vorstellen können, dass etwa ein Grabstein aus Indien kommt und dort mithilfe von Kinderarbeit hergestellt wurde. Außerdem ist es schlicht nicht verboten, Produkte, die aus ausbeuterischer Kinderarbeit stammen, in Deutschland zu verkaufen, und das muss sich ändern.

Vertreter der Steinbranche in Deutschland behaupten, Ihre Recherchen stimmten nicht.
Es ist extrem gefährlich, in den Steinbrüchen zu recherchieren, weil es offenbar um sehr viel Geld geht. Von 2003 bis 2015 sind zwei Inspekteure der indischen Regierung und ein Journalist in den Minen umgebracht worden. 2016 war ich wieder mit einem Journalisten in den Exportsteinbrüchen. Wir sind als Steinhändler aufgetreten und  haben in sieben von acht Steinbrüchen, die wir unangekündigt besuchten, arbeitende Kinder angetroffen. Dann kann man nicht behaupten, es handele sich um Ausnahmen. Im März vergangenen Jahres ist die Recherche im Magazin der Süddeutschen Zeitung erschienen. Danach haben Wissenschaftler der Universität Düsseldorf im Auftrag der Landesregierung eine Studie zum Thema erstellt. Sie kommen ganz klar zu dem Schluss, dass Kinderarbeit in den Exportsteinbrüchen für deutsche Grabsteine eine Tatsache ist.

Warum leugnet die Steinbranche das Problem so hartnäckig?
Importeure, die Pflastersteine oder Gartenplatten einführen, wissen, sie kommen nicht darum herum, ihre Produkte zu lizensieren. Denn immer mehr Kommunen haben beschlossen, keine Produkte mehr aus ausbeuterischer Kinderarbeit einzukaufen. Aber die Grabsteinbranche besteht aus kleinen Familienbetrieben mit nur ein paar Steinen Umsatz pro Monat. Sie wollen nicht darauf eingehen, Kinderarbeit bei den Lieferanten auszuschließen, weil es ihnen angesichts der geringen Stückzahlen zu aufwendig ist. Deswegen sind gesetzliche Regelungen wie in Nordrhein-Westfalen so wichtig. Wenn ein Grabstein aus einem der Länder China, Indien, Philippinen oder Vietnam stammt, in denen Kinderarbeit bei Steinen wahrscheinlich ist, dann muss der Stein in NRW ein unabhängiges Zertifikat haben. Nur angesichts dieser Verpflichtung werden sich die Importeure lizensieren lassen.

In der Praxis hat sich bei kommunalen Bauprojekten nur wenig verändert. Denn die Städte  verlangen höchstens Selbstverpflichtungen von den Händlern. Die sind weitgehend wertlos.
Das stimmt, aber jetzt gibt es mit dem Portal www.Siegelklarheit.de der Bundesregierung eine neue Situation. Es bewertet ganz offiziell Siegel, und Kommunen können sich darauf berufen. Bei Steinen sind XertifiX und Fair Stone staatlich anerkannt. Das Siegel der Steinbranche, IGEP, ist durchgefallen, weil es nicht den geringsten Mindeststandards entspricht. Siegelklarheit bedeutet eine neue Qualität. Ich hoffe, dass die Städte das Portal annehmen, denn es wird die Dinge verändern.

Bisher haben XertifiX und Fair Stone kaum Marktanteile. Wird sich das ändern?
Wie die Siegel heißen, ist mir gleich. Ich möchte einfach, dass keine Erklärungen mehr akzeptiert werden, in denen steht: Ich bin gläubiger Hindu, Vegetarier und Familienvater, deswegen gibt es bei mir keine Kinderarbeit. Das ist völliger Blödsinn. So kommen wir nicht weiter. Die Selbstverpflichtungen müssen weg, sie sind Augenwischerei.

Aber was nützt es, Kinderarbeit zu verbieten, wenn ihre Ursache, die Armut der Familien, weiter besteht?
Armut ist die Folge von Kinderarbeit – es ist ein Teufelskreis. Dennoch: Verbot ohne Hilfe ist zynisch. Man kann ja schlecht die Kinder aus Steinbrüchen und Teppichfabriken holen und dann sagen, geht doch in die Prostitution. Wir brauchen ein Konzept mit Schul- und Berufsausbildung für die Kinder und einkommensschaffenden Maßnahmen für die Erwachsenen. Ihre staatlich garantierten Mindestlöhne können sie nur ab einem gewissen Bildungsniveau einfordern. Dafür ist Hilfe von außen notwendig.

Wie kann man alle Produkte aus ausbeuterischer Kinderarbeit vom deutschen Markt verbannen?
Die Bundesregierung sollte einen Importstopp für Natursteine aus den vier problematischen Ländern erlassen. Die Düsseldorfer Studie hat klar erwiesen, dass Kinderarbeit in den Steinbrüchen Indiens eine Tatsache ist. Jetzt muss der Gesetzgeber handeln. In den USA kann man sich bei der obersten Zollbehörde melden, wenn man Hinweise hat, dass ein Produkt aus ausbeuterischer Kinderarbeit  stammt. Die Behörde geht dem nach und der Verkauf wird gestoppt. Es gibt sogar eine Belohnung für denjenigen, der es aufgedeckt hat. Immer wenn Frau Merkel Indiens Regierungschef Modi trifft, sollte sie das Thema ansprechen. Es geht ja nicht darum, Indien etwas aufzuzwingen. Die indische Regierung soll internationale Konventionen und ihre eigenen Gesetze einhalten.

Benjamin Pütter berät seit 2015 das Kindermissionswerk „Die Sternsinger“ zum Thema Kinderrechte. Der 57-Jährige hat bei zahlreichen Reisen nach Indien in den vergangenen 25 Jahren die Ausbeutung von Kindern vor allem in den Steinbrüchen Südindiens dokumentiert. Zuletzt ist 2017 sein Buch „Kleine Hände, großer Profit. Kinderarbeit. Welches ungeahnte Leid sich hinter unserer Warenwelt verbirgt“ erschienen.

Das Gespräch führte Claudia Mende

Der Kaffee im Büro, der Blumenstrauss zum Geburtstag, der Schokoriegel oder die Banane am Nachmittag. All diese Produkte haben eines gemeinsam: Sie werden häufig mithilfe von Kinderarbeit hergestellt. Niemand möchte Kinderarbeit unterstützen, und doch ist es schwer, sich im Supermarkt zu orientieren. Erfahren Sie, in welchen Produkten Kinderarbeit stecken kann – und worauf Sie beim Einkaufen achten können.

Die ganze Welt ist in unseren Supermärkten zu finden: Jede Banane, jedes Paket Kaffee oder Kakao verbindet uns mit weit entfernten Ländern. Unter welchen Bedingungen die Banane jedoch geerntet wurde und ob Kinder dafür arbeiten mussten, verrät sie nicht. Realität ist, dass nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) weltweit 152 Millionen Kinder arbeiten, 73 Millionen davon unter ausbeuterischen Bedingungen. Fast die Hälfte der Jungen und Mädchen ist noch keine 12 Jahre alt.

Kein Käufer möchte das unterstützen, und doch steckt Kinderarbeit in vielen Waren, die hierzulande tagtäglich gekauft werden: Exotische Früchte, Nüsse, Tee, Natursteine, Computer, Schuhe, Kleidung, Gold, Reis, Tabak und vieles mehr. Nach Untersuchungen des amerikanischen Arbeitsministeriums werden weltweit in 76 Ländern 148 verschiedene Güter mit Hilfe von Kinderarbeit produziert. Allein beim Goldabbau müssen Kinder in 21 Ländern mitarbeiten, beim Kaffee sind es 17 Länder, bei der Baumwolle 15.

Welche produkte werden mit kinderarbeit hergestellt

Kinderarbeit in Bangladesch: Umgeben von Scherben und Nägeln schweisst dieses Kind Metall in Plastikschlappen. Foto: Alea Horst

Wie ist die Gesetzgebung in der Schweiz?

Im Gegensatz zu Staaten wie Frankreich, Holland oder den USA gibt es in der Schweiz noch keine gesetzlichen Bestimmungen, die sicherstellen, dass Waren, die hierzulande auf den Markt kommen, ohne Kinderarbeit hergestellt werden. Verschiedene Organisationen fordern dies seit Jahren. Die Konzernverantwortungsinitative, welche am 29. November vors Volk kommt, will globale agierende Konzerne mit Sitz in der Schweiz verpflichten, sicherzustellen, dass sie nicht von Kinderarbeit profitieren.

SOS-Kinderdorf hilft Eltern weltweit dabei, ihr Leben aus eigenen Kräften zu bestreiten, sodass Kinder nicht arbeiten müssen. Sie bekommen Mikrokredite und werden mit Knowhow unterstützt, um beispielsweise ein kleines Geschäft zu eröffnen. Kindern ermöglichen wir ausserdem den Schulbesuch. All dies trägt dazu bei, die weltweite Kinderarbeit zu beenden.

Als Verbraucher einen wichtigen Beitrag leisten

Auf unseren Social-Media-Kanälen zeigen wir, in welchen Produkten oft Kinderarbeit steckt. Und in unserem Folgeblog, erfahren Sie, was Sie als Konsument tun können, um Kinderarbeit zu bekämpfen.