Was passiert wenn MS nicht behandelt wird?

Der grippale Infekt ist vorbei? Wunderbar, dann können Nasenspray, Fiebersenker, Halstabletten, Hustenlöser und Co. bis zum nächsten Einsatz im Arzneischrank verschwinden. Keine Symptome, keine Behandlung. So einfach.

Anders bei Multipler Sklerose, der chronisch-entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems, einer Autoimmunkrankheit. Hier kann  dieser einfache logische Schluss in die Irre führen, möglicherweise mit weitreichenden Folgen. Die Mehrheit der MS-Experten ist sich heute darin einig, dass eine MS so früh wie möglich und so konsequent wie nötig dauerhaft therapiert werden sollte.

Dabei muss man unterscheiden zwischen der Behandlung eines Schubes oder von Symptomen und der verlaufsmodifizierenden Behandlung der MS. Einen akuten Schub zu behandeln, ist das eine, die MS zu behandeln das andere. Denn auch ohne erkennbare Symptome bzw. Schübe kann der Entzündungsprozess im Verborgenen weiter voranschreiten. Um den Krankheitsprozess zu verlangsamen, die Anzahl der Schübe einzudämmen und das Auftreten möglicher Behinderungen zu verzögern, steht eine Vielzahl von Wirkstoffen zur Verfügung.

Erfolgsdreieck Arzt – Patient – Medikation

Nicht ganz einfach für den aufgeklärten MS-Patienten im digitalen Zeitalter, dies  zu akzeptieren. Absolut verständlich auch eine Einstellung „Warum soll ich mich mit den lästigen Nebenwirkungen rumschlagen, wenn es mir doch gerade ausgezeichnet geht?“

Umso wichtiger ist hier das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Zweifel müssen ausgesprochen und gemeinsam reflektiert, gegebenenfalls Behandlungsalternativen abgewogen werden. Denn eines ist sicher: Im Mittelpunkt stehen Gesundheit und Lebensqualität des Patienten. Sie möglichst lange zu erhalten, ist das oberste Ziel. Je individueller und einfacher sich die Therapie in das Leben des Betroffenen einpasst und je realistischer seine Erwartungen an die Behandlung sind, umso leichter ist es, bei der Stange zu bleiben.

Die Qual der Wahl

Heute stehen über ein Dutzend Wirkstoffe zur sogenannten verlaufsmodifizierenden Behandlung der Multiplen Sklerose zur Verfügung. Sie wirken unterschiedlich stark, reduzieren zum Beispiel die Schubrate um 30 bis 70 %. Mittlerweile ist auch ein Wirkstoff zur Behandlung der primär progredienten MS zugelassen. Je stärker diese Medikamente wirken, desto stärker können im Einzelfall auch die Nebenwirkungen sein. Daher ist es wichtig, die Entscheidung der Dauertherapie wohl überlegt zu treffen.

Persönliche Unterstützung, Aufklärung durch den Arzt und Kontakt zu Fachleuten, dazu der sensible Umgang mit Ängsten und Bedenken ebnen den Weg für eine erfolgreiche Therapie. Zunehmend gerne genutzt wird die digitale Unterstützung durch Handy, Facebook-Gruppe und App mit Erinnerungs- und Tagebuchfunktion, die zusätzlich die Adhärenz - so der Fachausdruck für das „Bei-der-Stange-Bleiben“ -  Und noch eine einfache Wahrheit: Ein Medikament, das man nicht nimmt, kann auch nicht wirken. Wenn man eine Therapie abbrechen möchte, so sollte man  das nicht eigenmächtig  tun, sondern unbedingt mit seinem Arzt besprechen.  

Übrigens: Dieser kurze Erklärfilm macht deutlich, wie lohnend es ist, sich gut zu informieren:

  • Video: Mein Weg zur passenden Therapie

Die Plattform MS behandeln erläutert Voraussetzungen, Wirkung, mögliche Nebenwirkungen und noch einige Merkmale zu allen zugelassenen MS-Wirkstoffen, sowohl in der symptomatischen, wie der komplementär-alternativen und der immunmodulatorischen Therapie.  Außerdem erläutert die Plattform Rehabilitation und Entspannungsverfahren. Ein Vergleichstool stellt ausgewählte Therapien nebeneinander.

Für Patienten mit schubförmig verlaufender MS stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, die den Angriff des Immunsystems auf die Nervenzellen abschwächen. Bei akuten Schüben können u.a. Cortison-Präparate die Symptome dämpfen. Darüber hinaus können wiederkehrend angewendete sogenannte Basistherapeutika viele Schübe verhindern und zum Teil das Fortschreiten der Krankheit hinauszögern. Zu den schon am längsten verfügbaren Basistherapeutika zählen die Betainterferon-Präparate und das synthetische Peptidgemisch Glatirameracetat; sie alle müssen regelmäßig gespritzt werden. Schlägt eins dieser Basistherapeutika an, kann das etwa ein Drittel bis die Hälfte aller neuen Schübe verhindern und die Schwere der Schübe vermindern. Das Spritzen allerdings fällt manchen Patienten schwer; und die Mittel wirken nur bei rund 70% der Patienten. Etliche Patienten erleben auch belastende Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptome durch die Basistherapie mit diesen Mitteln. 2018 kam noch ein Antikörper-Medikament (mit Ocrelizumab) hinzu. Schon seit 2011 kamen aber auch Basistherapeutika in Tablettenform heraus, mit den Wirkstoffen Fingolimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin. Diese neuen Medikamente – und darin unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den älteren – eliminieren bestimmte Zellen des Immunsystems oder dämpfen ihre Aktivität, damit deren Angriffe im ZNS unterbleiben. Die genauen Wirkprinzipien, mit denen das erzielt wird, sind jedoch andere; und einige Patienten begrüßen es sehr, dass sie ihre Medikamente nicht spritzen müssen. Der Einsatz von einigen von ihnen ist auf Patienten mit hoher Schubfrequenz beschränkt.

Leiden Patienten trotzdem an häufigen Schüben, kann auch eins von zwei Antikörperpräparaten oder ein Chemotherapeutikum (zur Schub- oder Dauerbehandlung) eingesetzt werden, was jedoch mit höheren Risiken für die Patienten durch belastende, in Einzelfällen auch schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Eins der Antikörperpräparate (Natalizumab) wird in Dauertherapie eingesetzt, für das andere (Alemtuzumab) genügen zwei kurze Behandlungsphasen für eine langanhaltende Wirkung.

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Der Multiple Sklerose-Verlauf kann unterschiedlich sein. Meist ist er durch Krankheitsschübe gekennzeichnet. Bei anderen Patienten verschlechtert sich der Zustand dagegen kontinuierlich. Lesen Sie mehr über die verschiedenen Verlaufsformen der MS, die Schweregrad-Einteilung anhand von Skalen sowie die Lebenserwartung der Patienten.

Artikelübersicht

Multiple Sklerose - Verlauf

  • MS-Schweregrad: MFSC-Skala

  • Multiple Sklerose: Lebenserwartung

Bei Multipler Sklerose (MS) kommt es an mehreren Stellen im zentralen Nervensystem (ZNS) - Gehirn und Rückenmark - zu entzündungsbedingten Schäden (Läsionen), die unterschiedlichste neurologischen Symptome hervorrufen können. Je nach dem genauen Verlauf unterscheiden Mediziner folgende Formen von MS:

  • schubförmig remittierende Multiple Sklerose (engl. "relapsing-remitting multiple sclerosis", RRMS): Die MS-Symptome treten episodisch - in Schüben - auf. Dazwischen steht die Krankheitsaktivität gewissermaßen still. Der erste Schub wird als Klinisch isoliertes Syndrom (KIS) bezeichnet.
  • primär progrediente Multiple Sklerose (engl. "primary progressive multiple sclerosis", PPMS): Die Erkrankung schreitet von Beginn kontinuierlich voran.
  • sekundär progrediente Multiple Sklerose (engl. "secondary progressive multiple sclerosis", SPMS): Die Erkrankung beginnt mit Schüben und wechselt dann zu einem fortschreitenden (progredienten) Verlauf.

Was passiert wenn MS nicht behandelt wird?

Verändert nach: H. Schipper, Langzeit-Immuntherapie der MS

Aktiv, inaktiv, hochaktiv

Von einer aktiven RRMS sprechen Mediziner, wenn sich Krankheitsaktivität zeigt - also der Patient gerade einen Schub erlebt und/oder die Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT) neue oder sich vergrößernde Läsionen oder aber Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen (= aktive Entzündungsherde) zeigt.

Anderenfalls ist die schubförmig remittierende MS gerade inaktiv (z.B. im Zeitintervall zwischen zwei Schüben).

Daneben liegt bei zuvor nicht behandelten (therapienaiven) MS-Patienten ein wahrscheinlich hochaktiver Verlauf vor, wenn:

  • ein Schub zu einem schweren, den Alltag beeinträchtigenden Defizit nach Ausschöpfen der Schubtherapie geführt hat und/oder
  • der Patient sich von den ersten beiden Schüben schlecht erholt und/oder
  • sehr oft Schübe auftreten (hohe Schubfrequenz) und/oder
  • der Patient im ersten Jahr eine Behinderung im Ausmaß von mindestens 3,0 Punkten auf der EDSS entwickelt und/oder
  • im ersten Krankheitsjahr die sogenannten Pyramidenbahn von der Krankheitsaktivität betroffen ist (Nervenfaserbündel, das motorische Signale vom Gehirn zum Rückenmark leitet).

Klinisch isoliertes Syndrom (KIS)

Der Begriff "Klinisch isoliertes Syndrom" bezeichnet das erstmalige Auftreten MS-typischer Symptome (wie Sensibilitäts- und Gangstörungen, einseitige Sehstörung) infolge von akuten entzündungsbedingten Schäden (Läsionen) an mehreren Stellen im zentralen Nervensystem. Die neurologischen Beschwerden halten mehr als 24 Stunden an.

Bei einem solchen erstmals auftreten Krankheitsschub kann aber nicht die Diagnose "schubförmig remittierende Multiple Sklerose" gestellt werden, weil dafür nicht alle Diagnosekriterien erfüllt sind. Konkret fehlt bei einem Klinisch isolierten Syndrom die sogenannte zeitliche Dissemination, also das Auftreten von Entzündungsherden im ZNS zu verschiedenen Zeitpunkten. Dieses Kriterium ist erst erfüllt, wenn:

  • es zu einem zweiten Krankheitsschub kommt oder
  • eine Folgeuntersuchung mittels Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT) neue Entzündungsherde im ZNS aufzeigt oder gleichzeitig Läsionen nachweist, die Kontrastmittel aufnehmen (aktive Entzündungsherde) und solche, die das nicht tun (ältere Herde) oder
  • sich in der Nervenwasserprobe (Liquorprobe), die mittels Lumbalpunktion aus dem Rückenmarkskanal des Patienten gewonnen wurde, bestimmte Eiweißmuster - sogenannte oligoklonale Banden - nachweisen lassen.

Nur wenn mindestens einer dieser drei Punkte gegeben (also das Kriterium der zeitlichen Dissemination erfüllt) ist, kann bei einem Patienten, der ein Klinisch isoliertes Syndrom erlebt hat, auch tatsächlich eine Multiple Sklerose diagnostiziert werden - genauer gesagt: eine schubförmig remittierende MS.

Es gibt aber auch KIS-Patienten, bei denen dies nie der Fall ist - also bei denen es bei der einzelnen Episode an neurologischen Symptomen bleibt und sich daraus keine Multiple Sklerose entwickelt.

Sekundär progrediente MS (SPMS)

Manchmal wechselt die schubförmig remittierender MS nach einigen Jahren allmählich zu einem chronisch fortschreitenden Verlauf - die Schübe werden seltener, dafür nehmen die Beschwerden nun kontinuierlich zu.

Allerdings kann es auch bei dieser sekundär progredienten MS (oder sekundär chronisch progredienten MS) Phasen geben, in denen das Fortschreiten der Erkrankung vorübergehend stoppt. Außerdem können dem fortschreitenden Krankheitsverlauf zusätzlich Schübe aufgesetzt sein.

Demnach kann man bei einer SPMS mit den Begriffen "aktiv" und "progredient" den Verlaufstyp genauer charakterisieren. Dabei versteht man unter "Aktivität" das Auftreten von Schüben und/oder MRT-Aktivität (wie auch oben bei der schubförmig remittierenden MS). Mit "Progression" ist eine schubunabhängige und objektivierte Zunahme der Behinderung in einem definierten Zeitraum (z.B. im vorausgegangenen Jahr) gemeint.

Somit gibt es folgende Verlaufstypen der sekundär progredienten MS:

  • aktiv und progredient: mit Schüben und/oder MRT-Aktivität sowie schubunabhängige Zunahme der Behinderung
  • aktiv und nicht progredient: mit Schüben und/oder MRT-Aktivität, aber ohne schubunabhängige Zunahme der Behinderung
  • nicht aktiv und progredient: ohne Schübe und/oder MRT-Aktivität, aber mit schubunabhängiger Zunahme der Behinderung
  • nicht aktiv und nicht progredient: ohne Schüben und/oder MRT-Aktivität sowie ohne schubunabhängige Zunahme der Behinderung

Was passiert wenn MS nicht behandelt wird?

Verändert nach: H. Schipper, Langzeit-Immuntherapie der MS

Primär progrediente MS (PPMS)

Als primär progredient (oder primär chronisch-progredient) bezeichnen Mediziner den Multiple-Sklerose-Verlauf, wenn sich die Symptome und der Krankheitszustand von Anfang an schleichend verschlechtern. Vereinzelt treten zusätzlich Schübe auf. Außerdem kann es auch hier Phasen geben, in denen die Erkrankung gewissermaßen still steht und nicht fortschreitet.

Somit unterscheidet man auch bei diesem Multiple-Sklerose-Verlauf die Verlaufstypen aktiv und progredient / aktiv und nicht progredient / nicht aktiv und progredient / nicht aktiv und nicht progredient - also die gleichen Verlaufstypen wie bei sekundär progredienter MS (siehe oben).

Benigne und maligne MS

Im Zusammenhang mit dem Multiple-Sklerose Verlauf ist manchmal die Rede von "benigner MS" (also "gutartiger" MS). Dieser Begriff wird in der Fachwelt uneinheitlich verwendet. Einer Definition zufolge liegt eine benigne MS dann vor, wenn bei einem Patient 15 Jahre nach Krankheitsbeginn noch alle neurologischen Systeme voll funktionsfähig sind. Langzeituntersuchungen ergaben allerdings, dass es bei den meisten dieser Patienten im weiteren Verlauf dann doch zu einem erheblichen Fortschreiten der Erkrankung mit bleibenden Behinderungen kommt.

Das Gegenstück zu einer benignen MS ist die maligne MS - also eine Multiple Sklerose, die sehr schnell (fulminant) voranschreitet und innerhalb kurzer Zeit zu schwerwiegender Behinderung oder sogar zum Tod führt. Das ist etwa bei der Akuten malignen MS (Typ Marburg) der Fall. Diese seltene Verlaufsform der Multiplen Sklerose wird auch "Marburg-Variante der MS" oder "Marburg-Erkrankung" genannt. Es treten hier akut massive Schäden (Läsionen) an den Myelinscheiden der Nervenzellfortsätze an mehreren Stellen in der weißen Substanz des Gehirns aus. Innerhalb von Wochen bis Monaten entwickeln die Patienten schwere Behinderungen oder versterben. Dieser aggressive Multiple-Sklerose-Verlauf wird hauptsächlich bei jüngeren Menschen beobachtet.

Es gibt verschiedene Skalen, um den Schweregrad einer Multiplen Sklerose einzuschätzen und während des Krankheitsverlaufs zu dokumentieren. Am häufigsten verwendet wird die erweiterte Behinderungsskala (Expanded Disability Status Scale, EDSS). Sie dient dazu, den Schweregrad der Behinderung bei MS anhand einer standardisierten neurologisch-klinischen Untersuchung zu erfassen. Der Fokus liegt dabei auf folgenden acht Funktionssystemen (mit Beispielen für Symptomen bei Schädigungen im jeweiligen System):

  • Pyramidenbahn-Funktionssystem: z.B. Lähmungen
  • Kleinhirn-Funktionssystem: z.B. Störung der Bewegungskoordination (Ataxie), unwillkürliches, rhythmisches Zittern (Tremor)
  • Hirnstamm-Funktionssystem: z.B. Schluckstörungen
  • sensibles Funktionssystem: z.B. vermindertes Berührungsempfinden
  • zerebrales Funktionssystem: z.B. Konzentrationsstörungen
  • visuelles Funktionssystem: z.B. eingeschränktes Gesichtsfeld
  • Blasen- und Mastdarm-Funktionssystem: z.B. Inkontinenz
  • Gehstrecke (Nutzung von Gehhilfen): mind. 500 m sollten ambulant getestet werden

Mögliche Skalenwerte

Folgende Punktwerte auf der EDSS sind möglich:

EDSS-Wert

Bedeutung

0,0

normaler neurologischer Untersuchungsbefund; in allen Funktionssystemen (FS) Behinderungsgrad 0

1,0

keine Behinderung, minimale Symptome (Grad 1) in einem Funktionssystem

1,5

keine Behinderung, minimale Symptome (Grad 1) in mehr als einem FS

2,0

leichte Behinderung (Grad 2) in einem FS

2,5

leichte Behinderung (Grad 2) in mehr als einem FS

3,0

uneingeschränkte Gehfähigkeit, aber

  • mäßige Behinderung (Grad 3) in einem FS oder
  • leichte Behinderung (Grad 2) in drei oder vier FS

3,5

uneingeschränkte Gehfähigkeit, aber

  • mäßige Behinderung (Grad 3) in einem FS und leichte Behinderung (Grad 2) in ein bis zwei FS oder
  • mäßige Behinderung (Grad 3) in zwei FS oder
  • leichte Behinderung (Grad 2) in fünf FS

4,0

ohne Hilfe und Pause gehfähig für 500 m, während ca. 12 Stunden pro Tag aktiv trotz relativ ausgeprägter Behinderung (Grad 4) in einem FS (übrige FS Grad 0 oder 1) oder Kombination geringerer Grade, welche die Grenzen der vorhergehenden Stufen überschreiten

4,5

ohne Hilfe und Pause gehfähig für 300 m, ganztägig arbeitsfähig, Aktivität gering eingeschränkt (minimale Hilfe erforderlich), relativ schwere Behinderung:

ausgeprägte Behinderung (Grad 4) in einem FS (übrige FS Grad 0 oder 1) oder Kombinationen geringerer Grade, welche die Grenzen der vorhergehenden Stufen überschreiten

5,0

ohne Hilfe und Pause gehfähig für 200 m, Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivität zu beeinträchtigen:

max. Behinderung (Grad 5) in einem FS (übrige FS Grad 0 oder 1) oder Kombinationen geringerer Grade, welche den EDSS-Wert 4,0 überschreiten

5,5

ohne Hilfe und Pause gehfähig für 100 m, Behinderung so schwer, dass tägliche Aktivität eingeschränkt wird:

max. Behinderung (Grad 5) in einem FS (übrige FS Grad 0 oder 1) oder Kombinationen geringerer Grade, welche den EDSS-Wert 4,0 überschreiten

6,0

vorübergehende oder ständige Unterstüzung (Stütze, Schiene) an einer Seite nötig, um ca. 100 m zu gehen (mit oder ohne Pause);

Kombination von Grad 3+ in mehr als zwei FS

6,5

ständige beidseitige Unterstützung nötig, um ca. 20 m ohne Pause zu gehen;

Kombination von Grad 3+ in mehr als zwei FS

7,0

unfähig, mehr als 5 m zu gehen (auch mit Unterstützung); weitgehend gebunden an einen Rollstuhl; der Patient kann diesen aber selbstständig bewegen und selbstständig ein- und aussteigen; ca. 12 Stunden am Tag im Rollstuhl mobil;

Kombination von Grad 4+ in mehr als zwei FS; sehr selten max. Behinderung (Grad 5) allein im Pyramidenbahn-Funktionssystem

7,5

unfähig (auch mit Hilfe), mehr als ein paar Schritte zu gehen; an Rollstuhl gebunden, der eigenständig bewegt werden kann; Patient braucht aber Hilfe beim Ein- und Aussteigen und kann keinen vollen Tag darin verbringen; möglicherweise Elektrorollstuhl erforderlich;

Kombination von Grad 4+ in mehr als zwei FS

8,0

weitgehend ans Bett oder an einen Stuhl gebunden oder wird im Rollstuhl umhergefahren (die meiste Zeit des Tages außerhalb des Bettes); kann viele Verrichtungen allein ausführen und die Arme effektiv nutzen;

Kombination von Grad 4+ in mehreren FS

8,5

die meiste Zeit des Tages ans Bett gebunden; kann einige Verrichtungen noch selbstständig ausführen und die Arme teilweise effektiv nutzen;

Kombinationen von Grad 4+ in mehreren FS

9,0

Hilflosigkeit und Bettlägerigkeit; Patient kann aber essen und kommunizieren;

Kombinationen von Grad 4+ in den meisten FS

9,5

völlige Hilflosigkeit und Bettlägerigkeit; unFähigkeit, zu essen, zu schlucken und zu kommunizieren;

Kombinationen von Grad 4+ in fast allen FS

10,0

Tod infolge von MS

Quelle: AMBOSS

Der Schwerpunkt dieser Bewertungsskala liegt auf der Gehfähigkeit:

  • Bei EDSS-Werten bis 3,5 besteht volle Gehfähigkeit.
  • Bei Werten zwischen 4,0 und 6,5 liegt eine eingeschränkte Gehfähigkeit vor.
  • Bei EDSS-Werten ab 7,0 ist ein Patient weitgehend immobil und auf einen Rollstuhl angewiesen.

Exponentielle Verschlechterung

Beim Vergleich verschiedener Punktwerte auf der EDSS sollte man wissen, dass die Skala nicht linear ist. Ein Wert von 6,0 bedeutet beispielsweise nicht "doppelt so schlimm" wie der Wert 3,0. Mathematisch ausgedrückt: Der Grad der Behinderung nimmt von Stufe zu Stufe exponentiell zu (siehe Abbildung).

Was passiert wenn MS nicht behandelt wird?

Der exponentielle Anstieg bedeutet auch: In den ersten Jahren einer MS, wenn die Beschwerden oft nur wenig zunehmen, kann der EDSS-Wert relativ schnell ansteigen, weil die Skala auf kleine Veränderungen sehr empfindlich reagiert. Manche Patienten sorgen sich deshalb: Das schnelle Durchlaufen der unteren EDSS-Werte erweckt oft den falschen Eindruck, die Multiple Sklerose schreite ziemlich rasch fort. Das tut sie aber nicht.

EDSS: Praktischer Nutzen

Der Arzt bestimmt den Wert auf der EDSS zu Beginn der Krankheit und regelmäßig im weiteren Verlauf. So lässt sich der Multiple Sklerose-Verlauf bei einem Patienten dokumentieren. Zudem kann die EDSS bei Therapieentscheidungen hilfreich sein.

Nachteil der EDSS

Die EDSS reicht nicht aus, um alle Auswirkungen von MS auf das Alltagsleben und das Ausmaß aller Einschränkungen zu erfassen. Der Schwerpunkt der Bewertung liegt auf der Gehfähigkeit. Andere Symptome werden dagegen nicht ausreichend berücksichtigt, zum Beispiel Feinmotorik, Konzentrationsstörungen oder das Ausmaß von anhaltender Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue). Die EDSS ist also nur ein Mosaikstein, um das Ausmaß der Behinderung eines MS-Patienten einzuschätzen.

MSFC steht für "Multiple Sclerosis Functional Composite". Diese Beurteilungsskala ist eine weitere Möglichkeit, neurologische Beeinträchtigungen infolge der MS-Erkrankung zu erfassen und zu dokumentieren. Im Fokus stehen folgende drei Bereiche:

Die Prognose der Betroffenen hat sich in den letzten Jahrzehnten verbessert: Die Lebenserwartung wird durch Multiple Sklerose oft nicht wesentlich verkürzt. Viele Patienten leben jahrzehntelang mit der Erkrankung. Ein maligner (bösartiger) Multiple Sklerose-Verlauf kann allerdings auch schon nach Monaten tödlich enden. Er ist aber selten.

Häufiger sterben MS-Patienten an Komplikationen wie etwa Lungenentzündung oder Urosepsis (von den Harnwegen ausgehende Spesis). Auch Suizide kommen unter Multiple Sklerose-Patienten häufiger vor als in der Normalbevölkerung.

Prinzipiell ist zu bedenken: Es gibt viele Faktoren, die einen Einfluss auf die Gesundheit und die Lebenserwartung haben – bei MS-Patienten ebenso wie bei Gesunden. Dazu gehören zum Beispiel starker Tabak- und Alkoholkonsum, geringer Bildungsstand, soziale und psychische Belastungen (wie Arbeitslosigkeit, Scheidung etc.).

Die Prognose der Erkrankung hängt also von vielen Faktoren ab und ist individuell sehr unterschiedlich. Selbst ein noch so guter Experte kann daher keine genaue Vorhersage zum Multiple Sklerose-Verlauf und zur Lebenserwartung bei einzelnen Patienten machen.

Was passiert wenn MS nicht behandelt wird?

Wissenschaftliche Standards:

Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft.

ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeits­bescheinigungen.

  • Berlit, P.: Klinische Neurologie, Springer Verlag, 2. Auflage, 2006
  • Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft: "FAQ - Ist MS heilbar?", unter: www.dmsg.de (Abruf: 11.10.2021)
  • Krämer, G. & Besser, R.: Multiple Sklerose - Antworten auf die 111 wichtigsten Fragen, TRIAS Verlag, 6. Auflage, 2006
  • Krämer, G.: Wörterbuch Multiple Sklerose, TRIAS, 5. Auflage, 2012
  • Kugler, J. et al.: Lebensqualität bei Multipler Sklerose, Walter de Gruyter Verlag, 2010
  • orphanet - Das Portal für seltene Krankheiten und Orphan Drugs: "Akute Multiple Sklerose Marburg", unter: www.orpha.net (Abruf: 11.10.2021)
  • Österreichische Multiple Sklerose Gesellschaft: Die häufigsten Fragen zu Multipler Sklerose", unter: www.oemsg.at (Abruf: 11.10.2021)
  • Pschyrembel Online: www.pschyrembel.de (Abruf: 11.10.2021)
  • S2k-Leitlinie "Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis Optica Spektrum und MOG-IgG-assoziierte Erkrankungen" der Deutschen Gesellschaft für Neurologie et al. (Stand: 2021)
  • Schmidt, R.M. et al.: Multiple Sklerose, Elsevier / Urban & Fischer Verlag, 7. Auflage, 2018
  • Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft: "EDSS-Score", unter: www.multiplesklerose.ch (Abruf: 11.10.2021)
  • Stangel, M. & Mäurer, M.: Autoimmunerkrankungen in der Neurologie, Springer-Verlag, 2. Auflage, 2018
  • Zettl, U.K. & Mix, E.: Multiple Sklerose, Springer Verlag, 2013