Der grippale Infekt ist vorbei? Wunderbar, dann können Nasenspray, Fiebersenker, Halstabletten, Hustenlöser und Co. bis zum nächsten Einsatz im Arzneischrank verschwinden. Keine Symptome, keine Behandlung. So einfach. Show Anders bei Multipler Sklerose, der chronisch-entzündlichen Erkrankung des Zentralnervensystems, einer Autoimmunkrankheit. Hier kann dieser einfache logische Schluss in die Irre führen, möglicherweise mit weitreichenden Folgen. Die Mehrheit der MS-Experten ist sich heute darin einig, dass eine MS so früh wie möglich und so konsequent wie nötig dauerhaft therapiert werden sollte. Dabei muss man unterscheiden zwischen der Behandlung eines Schubes oder von Symptomen und der verlaufsmodifizierenden Behandlung der MS. Einen akuten Schub zu behandeln, ist das eine, die MS zu behandeln das andere. Denn auch ohne erkennbare Symptome bzw. Schübe kann der Entzündungsprozess im Verborgenen weiter voranschreiten. Um den Krankheitsprozess zu verlangsamen, die Anzahl der Schübe einzudämmen und das Auftreten möglicher Behinderungen zu verzögern, steht eine Vielzahl von Wirkstoffen zur Verfügung. Erfolgsdreieck Arzt – Patient – Medikation Nicht ganz einfach für den aufgeklärten MS-Patienten im digitalen Zeitalter, dies zu akzeptieren. Absolut verständlich auch eine Einstellung „Warum soll ich mich mit den lästigen Nebenwirkungen rumschlagen, wenn es mir doch gerade ausgezeichnet geht?“ Umso wichtiger ist hier das Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt. Zweifel müssen ausgesprochen und gemeinsam reflektiert, gegebenenfalls Behandlungsalternativen abgewogen werden. Denn eines ist sicher: Im Mittelpunkt stehen Gesundheit und Lebensqualität des Patienten. Sie möglichst lange zu erhalten, ist das oberste Ziel. Je individueller und einfacher sich die Therapie in das Leben des Betroffenen einpasst und je realistischer seine Erwartungen an die Behandlung sind, umso leichter ist es, bei der Stange zu bleiben. Die Qual der Wahl Heute stehen über ein Dutzend Wirkstoffe zur sogenannten verlaufsmodifizierenden Behandlung der Multiplen Sklerose zur Verfügung. Sie wirken unterschiedlich stark, reduzieren zum Beispiel die Schubrate um 30 bis 70 %. Mittlerweile ist auch ein Wirkstoff zur Behandlung der primär progredienten MS zugelassen. Je stärker diese Medikamente wirken, desto stärker können im Einzelfall auch die Nebenwirkungen sein. Daher ist es wichtig, die Entscheidung der Dauertherapie wohl überlegt zu treffen. Persönliche Unterstützung, Aufklärung durch den Arzt und Kontakt zu Fachleuten, dazu der sensible Umgang mit Ängsten und Bedenken ebnen den Weg für eine erfolgreiche Therapie. Zunehmend gerne genutzt wird die digitale Unterstützung durch Handy, Facebook-Gruppe und App mit Erinnerungs- und Tagebuchfunktion, die zusätzlich die Adhärenz - so der Fachausdruck für das „Bei-der-Stange-Bleiben“ - Und noch eine einfache Wahrheit: Ein Medikament, das man nicht nimmt, kann auch nicht wirken. Wenn man eine Therapie abbrechen möchte, so sollte man das nicht eigenmächtig tun, sondern unbedingt mit seinem Arzt besprechen. Übrigens: Dieser kurze Erklärfilm macht deutlich, wie lohnend es ist, sich gut zu informieren:
Die Plattform MS behandeln erläutert Voraussetzungen, Wirkung, mögliche Nebenwirkungen und noch einige Merkmale zu allen zugelassenen MS-Wirkstoffen, sowohl in der symptomatischen, wie der komplementär-alternativen und der immunmodulatorischen Therapie. Außerdem erläutert die Plattform Rehabilitation und Entspannungsverfahren. Ein Vergleichstool stellt ausgewählte Therapien nebeneinander. Für Patienten mit schubförmig verlaufender MS stehen mehrere Medikamente zur Verfügung, die den Angriff des Immunsystems auf die Nervenzellen abschwächen. Bei akuten Schüben können u.a. Cortison-Präparate die Symptome dämpfen. Darüber hinaus können wiederkehrend angewendete sogenannte Basistherapeutika viele Schübe verhindern und zum Teil das Fortschreiten der Krankheit hinauszögern. Zu den schon am längsten verfügbaren Basistherapeutika zählen die Betainterferon-Präparate und das synthetische Peptidgemisch Glatirameracetat; sie alle müssen regelmäßig gespritzt werden. Schlägt eins dieser Basistherapeutika an, kann das etwa ein Drittel bis die Hälfte aller neuen Schübe verhindern und die Schwere der Schübe vermindern. Das Spritzen allerdings fällt manchen Patienten schwer; und die Mittel wirken nur bei rund 70% der Patienten. Etliche Patienten erleben auch belastende Nebenwirkungen wie grippeähnlichen Symptome durch die Basistherapie mit diesen Mitteln. 2018 kam noch ein Antikörper-Medikament (mit Ocrelizumab) hinzu. Schon seit 2011 kamen aber auch Basistherapeutika in Tablettenform heraus, mit den Wirkstoffen Fingolimod, Teriflunomid, Dimethylfumarat und Cladribin. Diese neuen Medikamente – und darin unterscheiden sie sich nicht grundsätzlich von den älteren – eliminieren bestimmte Zellen des Immunsystems oder dämpfen ihre Aktivität, damit deren Angriffe im ZNS unterbleiben. Die genauen Wirkprinzipien, mit denen das erzielt wird, sind jedoch andere; und einige Patienten begrüßen es sehr, dass sie ihre Medikamente nicht spritzen müssen. Der Einsatz von einigen von ihnen ist auf Patienten mit hoher Schubfrequenz beschränkt. Leiden Patienten trotzdem an häufigen Schüben, kann auch eins von zwei Antikörperpräparaten oder ein Chemotherapeutikum (zur Schub- oder Dauerbehandlung) eingesetzt werden, was jedoch mit höheren Risiken für die Patienten durch belastende, in Einzelfällen auch schweren Nebenwirkungen verbunden sein kann. Eins der Antikörperpräparate (Natalizumab) wird in Dauertherapie eingesetzt, für das andere (Alemtuzumab) genügen zwei kurze Behandlungsphasen für eine langanhaltende Wirkung. Alle NetDoktor-Inhalte werden von medizinischen Fachjournalisten überprüft. Der Multiple Sklerose-Verlauf kann unterschiedlich sein. Meist ist er durch Krankheitsschübe gekennzeichnet. Bei anderen Patienten verschlechtert sich der Zustand dagegen kontinuierlich. Lesen Sie mehr über die verschiedenen Verlaufsformen der MS, die Schweregrad-Einteilung anhand von Skalen sowie die Lebenserwartung der Patienten. Artikelübersicht Multiple Sklerose - Verlauf MS-Schweregrad: MFSC-Skala Multiple Sklerose: Lebenserwartung Bei Multipler Sklerose (MS) kommt es an mehreren Stellen im zentralen Nervensystem (ZNS) - Gehirn und Rückenmark - zu entzündungsbedingten Schäden (Läsionen), die unterschiedlichste neurologischen Symptome hervorrufen können. Je nach dem genauen Verlauf unterscheiden Mediziner folgende Formen von MS:
Verändert nach: H. Schipper, Langzeit-Immuntherapie der MS Aktiv, inaktiv, hochaktivVon einer aktiven RRMS sprechen Mediziner, wenn sich Krankheitsaktivität zeigt - also der Patient gerade einen Schub erlebt und/oder die Kernspintomografie (Magnetresonanztomografie, MRT) neue oder sich vergrößernde Läsionen oder aber Kontrastmittel-aufnehmende Läsionen (= aktive Entzündungsherde) zeigt. Anderenfalls ist die schubförmig remittierende MS gerade inaktiv (z.B. im Zeitintervall zwischen zwei Schüben). Daneben liegt bei zuvor nicht behandelten (therapienaiven) MS-Patienten ein wahrscheinlich hochaktiver Verlauf vor, wenn:
Klinisch isoliertes Syndrom (KIS)Der Begriff "Klinisch isoliertes Syndrom" bezeichnet das erstmalige Auftreten MS-typischer Symptome (wie Sensibilitäts- und Gangstörungen, einseitige Sehstörung) infolge von akuten entzündungsbedingten Schäden (Läsionen) an mehreren Stellen im zentralen Nervensystem. Die neurologischen Beschwerden halten mehr als 24 Stunden an. Bei einem solchen erstmals auftreten Krankheitsschub kann aber nicht die Diagnose "schubförmig remittierende Multiple Sklerose" gestellt werden, weil dafür nicht alle Diagnosekriterien erfüllt sind. Konkret fehlt bei einem Klinisch isolierten Syndrom die sogenannte zeitliche Dissemination, also das Auftreten von Entzündungsherden im ZNS zu verschiedenen Zeitpunkten. Dieses Kriterium ist erst erfüllt, wenn:
Nur wenn mindestens einer dieser drei Punkte gegeben (also das Kriterium der zeitlichen Dissemination erfüllt) ist, kann bei einem Patienten, der ein Klinisch isoliertes Syndrom erlebt hat, auch tatsächlich eine Multiple Sklerose diagnostiziert werden - genauer gesagt: eine schubförmig remittierende MS. Es gibt aber auch KIS-Patienten, bei denen dies nie der Fall ist - also bei denen es bei der einzelnen Episode an neurologischen Symptomen bleibt und sich daraus keine Multiple Sklerose entwickelt. Sekundär progrediente MS (SPMS)Manchmal wechselt die schubförmig remittierender MS nach einigen Jahren allmählich zu einem chronisch fortschreitenden Verlauf - die Schübe werden seltener, dafür nehmen die Beschwerden nun kontinuierlich zu. Allerdings kann es auch bei dieser sekundär progredienten MS (oder sekundär chronisch progredienten MS) Phasen geben, in denen das Fortschreiten der Erkrankung vorübergehend stoppt. Außerdem können dem fortschreitenden Krankheitsverlauf zusätzlich Schübe aufgesetzt sein. Demnach kann man bei einer SPMS mit den Begriffen "aktiv" und "progredient" den Verlaufstyp genauer charakterisieren. Dabei versteht man unter "Aktivität" das Auftreten von Schüben und/oder MRT-Aktivität (wie auch oben bei der schubförmig remittierenden MS). Mit "Progression" ist eine schubunabhängige und objektivierte Zunahme der Behinderung in einem definierten Zeitraum (z.B. im vorausgegangenen Jahr) gemeint. Somit gibt es folgende Verlaufstypen der sekundär progredienten MS:
Verändert nach: H. Schipper, Langzeit-Immuntherapie der MS Primär progrediente MS (PPMS)Als primär progredient (oder primär chronisch-progredient) bezeichnen Mediziner den Multiple-Sklerose-Verlauf, wenn sich die Symptome und der Krankheitszustand von Anfang an schleichend verschlechtern. Vereinzelt treten zusätzlich Schübe auf. Außerdem kann es auch hier Phasen geben, in denen die Erkrankung gewissermaßen still steht und nicht fortschreitet. Somit unterscheidet man auch bei diesem Multiple-Sklerose-Verlauf die Verlaufstypen aktiv und progredient / aktiv und nicht progredient / nicht aktiv und progredient / nicht aktiv und nicht progredient - also die gleichen Verlaufstypen wie bei sekundär progredienter MS (siehe oben). Benigne und maligne MSIm Zusammenhang mit dem Multiple-Sklerose Verlauf ist manchmal die Rede von "benigner MS" (also "gutartiger" MS). Dieser Begriff wird in der Fachwelt uneinheitlich verwendet. Einer Definition zufolge liegt eine benigne MS dann vor, wenn bei einem Patient 15 Jahre nach Krankheitsbeginn noch alle neurologischen Systeme voll funktionsfähig sind. Langzeituntersuchungen ergaben allerdings, dass es bei den meisten dieser Patienten im weiteren Verlauf dann doch zu einem erheblichen Fortschreiten der Erkrankung mit bleibenden Behinderungen kommt. Das Gegenstück zu einer benignen MS ist die maligne MS - also eine Multiple Sklerose, die sehr schnell (fulminant) voranschreitet und innerhalb kurzer Zeit zu schwerwiegender Behinderung oder sogar zum Tod führt. Das ist etwa bei der Akuten malignen MS (Typ Marburg) der Fall. Diese seltene Verlaufsform der Multiplen Sklerose wird auch "Marburg-Variante der MS" oder "Marburg-Erkrankung" genannt. Es treten hier akut massive Schäden (Läsionen) an den Myelinscheiden der Nervenzellfortsätze an mehreren Stellen in der weißen Substanz des Gehirns aus. Innerhalb von Wochen bis Monaten entwickeln die Patienten schwere Behinderungen oder versterben. Dieser aggressive Multiple-Sklerose-Verlauf wird hauptsächlich bei jüngeren Menschen beobachtet. Es gibt verschiedene Skalen, um den Schweregrad einer Multiplen Sklerose einzuschätzen und während des Krankheitsverlaufs zu dokumentieren. Am häufigsten verwendet wird die erweiterte Behinderungsskala (Expanded Disability Status Scale, EDSS). Sie dient dazu, den Schweregrad der Behinderung bei MS anhand einer standardisierten neurologisch-klinischen Untersuchung zu erfassen. Der Fokus liegt dabei auf folgenden acht Funktionssystemen (mit Beispielen für Symptomen bei Schädigungen im jeweiligen System):
Mögliche SkalenwerteFolgende Punktwerte auf der EDSS sind möglich:
Der Schwerpunkt dieser Bewertungsskala liegt auf der Gehfähigkeit:
Exponentielle VerschlechterungBeim Vergleich verschiedener Punktwerte auf der EDSS sollte man wissen, dass die Skala nicht linear ist. Ein Wert von 6,0 bedeutet beispielsweise nicht "doppelt so schlimm" wie der Wert 3,0. Mathematisch ausgedrückt: Der Grad der Behinderung nimmt von Stufe zu Stufe exponentiell zu (siehe Abbildung). Der exponentielle Anstieg bedeutet auch: In den ersten Jahren einer MS, wenn die Beschwerden oft nur wenig zunehmen, kann der EDSS-Wert relativ schnell ansteigen, weil die Skala auf kleine Veränderungen sehr empfindlich reagiert. Manche Patienten sorgen sich deshalb: Das schnelle Durchlaufen der unteren EDSS-Werte erweckt oft den falschen Eindruck, die Multiple Sklerose schreite ziemlich rasch fort. Das tut sie aber nicht. EDSS: Praktischer NutzenDer Arzt bestimmt den Wert auf der EDSS zu Beginn der Krankheit und regelmäßig im weiteren Verlauf. So lässt sich der Multiple Sklerose-Verlauf bei einem Patienten dokumentieren. Zudem kann die EDSS bei Therapieentscheidungen hilfreich sein.
Nachteil der EDSSDie EDSS reicht nicht aus, um alle Auswirkungen von MS auf das Alltagsleben und das Ausmaß aller Einschränkungen zu erfassen. Der Schwerpunkt der Bewertung liegt auf der Gehfähigkeit. Andere Symptome werden dagegen nicht ausreichend berücksichtigt, zum Beispiel Feinmotorik, Konzentrationsstörungen oder das Ausmaß von anhaltender Müdigkeit und Erschöpfung (Fatigue). Die EDSS ist also nur ein Mosaikstein, um das Ausmaß der Behinderung eines MS-Patienten einzuschätzen. MSFC steht für "Multiple Sclerosis Functional Composite". Diese Beurteilungsskala ist eine weitere Möglichkeit, neurologische Beeinträchtigungen infolge der MS-Erkrankung zu erfassen und zu dokumentieren. Im Fokus stehen folgende drei Bereiche: Die Prognose der Betroffenen hat sich in den letzten Jahrzehnten verbessert: Die Lebenserwartung wird durch Multiple Sklerose oft nicht wesentlich verkürzt. Viele Patienten leben jahrzehntelang mit der Erkrankung. Ein maligner (bösartiger) Multiple Sklerose-Verlauf kann allerdings auch schon nach Monaten tödlich enden. Er ist aber selten. Häufiger sterben MS-Patienten an Komplikationen wie etwa Lungenentzündung oder Urosepsis (von den Harnwegen ausgehende Spesis). Auch Suizide kommen unter Multiple Sklerose-Patienten häufiger vor als in der Normalbevölkerung. Prinzipiell ist zu bedenken: Es gibt viele Faktoren, die einen Einfluss auf die Gesundheit und die Lebenserwartung haben – bei MS-Patienten ebenso wie bei Gesunden. Dazu gehören zum Beispiel starker Tabak- und Alkoholkonsum, geringer Bildungsstand, soziale und psychische Belastungen (wie Arbeitslosigkeit, Scheidung etc.). Die Prognose der Erkrankung hängt also von vielen Faktoren ab und ist individuell sehr unterschiedlich. Selbst ein noch so guter Experte kann daher keine genaue Vorhersage zum Multiple Sklerose-Verlauf und zur Lebenserwartung bei einzelnen Patienten machen. Wissenschaftliche Standards: Dieser Text entspricht den Vorgaben der ärztlichen Fachliteratur, medizinischen Leitlinien sowie aktuellen Studien und wurde von Medizinern geprüft. ICD-Codes sind international gültige Verschlüsselungen für medizinische Diagnosen. Sie finden sich z.B. in Arztbriefen oder auf Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
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