Warum braucht man mut um zu denken

Teilen Sie eigentlich mit anderen Ihre Gefühle und Ihre Erlebnisse, Ihre Gedanken und Hoffnungen, Ihre Träume und Ängste? Wenn ja, warum tun Sie das? Geht diese Strategie für Sie auf? Wenn ich meine Erfahrungen diesbezüglich Revue passieren lasse, wird für mich ein Muster sichtbar: Wann immer ich meine Gefühle mit anderen geteilt und mich offen und verletzlich gezeigt habe, habe ich tiefe Verbindungen aufbauen können. Aber das funktioniert nicht bei jedem. Es ist genauso wichtig für mich darauf zu achten, wie viel ich wem preisgebe. Denn viele Menschen sind es einfach nicht gewohnt offen über Gefühle zu sprechen, Verletzlichkeit zu zeigen oder auch nur bewusst hinzusehen.

Verletzlich zu sein und dadurch sichtbar zu werden, ist ein Prozess, der erst erlernt werden muss. Gerade am Anfang ist es nicht einfach. Wenn Sie es nicht gewohnt sind, sich anderen zu öffnen und auch aufmerksam gegenüber fremden Gefühlen zu sein, kann Sie schnell ein Gefühl der Überforderung überkommen. Das führt dann dazu, dass Sie sich zunächst in Ihren gewohnten Kaninchenbau zurückziehen und beobachten, wie die Umwelt generell auf andere reagiert. Mit Argusaugen wird dann alles beobachtet, um sich danach der Mehrheit anzupassen und zu hoffen, dass einen so niemand auslachen oder gar aus der Gruppe ausstoßen wird.

Dieses Vorgehen funktioniert aber leider nicht, zumindest nicht auf Dauer. Unser Handeln und auch Denken wird maßgeblich durch unsere Umgebung initiiert. Es ist eine wunderbar funktionierende Konditionierung, mit dem Ergebnis, dass die persönliche Meinung und Überzeugung unter Verschluss gehalten wird und wir uns dem allgemeinen Denken, Glauben und Handeln anschließen. Die eigenen Bedürfnisse, Wünsche, Hoffnungen und Gefühle werden dazu sicher hinter festen Mauern eingesperrt, weggeschlossen und verborgen - auch vor sich selbst. Denn niemand will negativ auffallen oder gar anderen zur Last fallen und sich so womöglich der Gefahr aussetzen, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen zu werden.

Eine Zeit lang lebt es sich vielleicht sogar ganz gut damit. Die Menschen beginnen an ein Leben in scheinbarer Sicherheit und ohne Angst vor Verletzungen zu glauben. Das Versprechen dazu ist auch sehr verlockend, denn es erzählt von weniger Enttäuschungen und Überraschungen. Das ist vielleicht wahr, aber der Preis, den Sie dafür zahlen müssen, ist sehr hoch. Im Tausch gegen diese vermeintliche Sicherheit geben Sie nämlich die Möglichkeit auf, das zu erleben, was das Leben eigentlich so unglaublich schön, einzigartig und wertvoll macht: tiefe Zufriedenheit, wahre Liebe und echte Gefühle. Aber nicht nur das. Wenn Sie aus Angst vor Ablehnung, Versagen und Verletzlichkeit sich verstecken, um diese unangenehmen Gefühle nicht spüren zu müssen, vergessen Sie ganz leicht, dass es Menschen gibt, die Sie lieben und die sie lieben. Und dass Sie eine Stimme haben, die es wert ist, gehört zu werden.

Ich spreche aus eigener Erfahrung: Als ich aufwuchs war ich fast schon meisterlich darin, mich auf verschiedene Arten zu verstecken. Manchmal tauchte ich einfach in einer Menschenmenge unter, indem ich mich Chamäleon gleich an meine Umgebung anpasste. Manchmal fand ich wunderbare Verstecke in meinen Gedanken und Träumen, die sich so sicher und so fern anfühlten. In anderen Fällen versteckte ich mich in den Erwartungen meiner Umgebung. Ich kleidete mich so, wie es sich der Meinung anderer nach gehörte, ich lachte auf Zuruf und ich orientierte mich an den Wünschen und Bedürfnisse anderer. Ich lernte, dass man anderen Menschen nicht vertrauen durfte, denn sie würden einen nur ausnutzen. Ich versteckte also meine Unsicherheiten weiter unter einer Schicht von Kleidern, Make-up und unsicherem Kichern. Aber ich war nicht glücklich dabei. Es war, wie alleine in einem Elfenbeinturm zu sitzen, niemanden an sich ranzulassen und dabei zuzusehen, wie die Welt an einem vorbeizieht.

Irgendwann habe ich beschlossen, dass es nicht das Leben war, das ich leben wollte. Auch wenn es Kraft kostete, wollte ich nicht weiterhin nur zusehen und als das Mädchen in Erinnerung bleiben, das unsichtbar war, weil es sich nur darum kümmerte, was andere dachten. Ich wollte lieber das Mädchen sein, das sich öffnen und bedacht sinnvolle Verbindungen mit anderen - auch mit Fremden - aufbauen konnte.

Nun gehört es zum Leben dazu, dass wir durch Erfahrungen lernen und das Verletzungen Teil des Deals sind. Sie gehören zum Menschsein dazu und sind nicht wegverhandelbar. Ich glaube nicht, dass es eine einzige Seele gibt, die ohne Schmerz zu fühlen, auf dieser Welt wandelte und ihre Erfahrungen machte. Die Verletzungen, die uns widerfahren, wenn wir uns anderen öffnen - wenn wir sichtbar werden - sind verkleidete Lektionen. Sie zeigen uns, wer wir wirklich sind und was unsere eigenen, nicht-verhandelbaren Werte sind.

Ich habe noch niemals leichtsinnig mein Herz verschenkt oder anderen Menschen einfach so blind vertraut. Teil meiner Erfahrung ist, dass ich mit Bedacht wähle und mir lange Zeit lasse, wem ich mein Herz und meine Seele öffne. Ich hatte früher Angst, dass ich sonst anderen die Macht über mich geben würde und ihnen erlaube würde, mich zu beeinflussen. Also begann ich ein Sicherheitssystem zu installieren, das sehr schnell bei fast jedem Menschen anschlug. Das führte allerdings nur dazu, dass ich wieder zurück in meinen Elfenbeinturm verschwand. Also musste ich all meinen Mut zusammennehmen und wieder rausfinden - auch auf die Gefahr hin, dass mich jemand verletzen konnte. Es funktionierte. Natürlich erlebe ich ab und zu Enttäuschungen und auch Schmerz, aber es lohnt sich, wenn ich daraus lerne. Weil ich dann wieder weiß, wer ich bin, wer ich sein möchte und was mir wichtig ist. Indem Menschen ihre Schwachstellen, Ängste und Unsicherheiten mit anderen teilen, werden sie sichtbar. Aber nur so erfahren sie auch etwas über sich selbst. Dann kann auch Licht auf unsere dunklen Gefühle treffen und diese Dunkelheit auflösen.

Wir müssen Fehler machen und uns der Verletzbarkeit öffnen, um zu lernen. Am stärksten sind die, die lernen und mit offenem Herzen weitermachen. Ohne Verletzlichkeit können wir keine echte Verbindung zu anderen herstellen.

Zu glauben, dass Verletzlichkeit eine Schwäche ist - etwas, das wir vermeiden können - nimmt dem Leben den eigentlichen Sinn und Zweck. Wenn wir uns der Verletzlichkeit verschließen, können wir auch nicht all die wunderbaren Dinge in die Welt tragen wie Kunst, Musik oder Poesie. All diese Dinge entstehen durch Liebe und Leidenschaft - und durch Verletzlichkeit. Wenn wir nicht den Mut haben, sie zu zeigen, nehmen wir ihnen die Luft zum Atmen und die Flügel zum Fliegen.

Warum braucht man mut um zu denken

Warum braucht man mut um zu denken

Zunehmend wird es bequemer sich Antworten zu holen. Siri, Suchmaschinen und Co. liefern mitunter sogar ohne gefragt zu werden. Das verlockt sich zurückzulehnen, doch dabei verlernen wir auch das Denken und Lernen. Was wollen Sie heute hinterfragen, was selbst entscheiden?

Es regnet nicht, sagte Siri. Ich sagte mir; dann nehme ich das Fahrrad. Jetzt – während ich langsam wieder trockne – meine ich; eine weitere Meinung einzuholen und selbst zu recherchieren hätte der Meinungsbildung mehr Substanz gegeben.

Genau, selber denken! Es ist wunderbar, sich von anderen Menschen inspirieren zu lassen. Das gilt besonders dann, wenn wir selbst uns mit den Angeboten eine eigene Meinung bilden können.

Es liegt in der menschlichen Natur sich an das Umfeld anzupassen. So übernehmen wir auch zahlreiche Meinungen von anderen Menschen und neigen dazu uns an Dinge zu gewöhnen. Dann hinterfragen wir sie nicht mehr so häufig. Doch genau das empfiehlt sich wohl häufiger. Wie schon ein kurzer Blick aus dem Fenster verdeutlicht, ist es mit der angeblichen Schwarmintelligenz bei einigen Themen leider nicht so weit her.

Zunehmen wird es auch bequemer sich Antworten zu holen. Siri, Suchmaschinen und Co. liefern Informationen mitunter sogar ohne gefragt zu werden. Das verlockt sich zurückzulehnen, doch dabei verlernen wir so einiges. Was soll ich mir merken, wenn es mein Smartphone in der Cloud sichern kann? Wikipedia ist doch sowieso schlauer, oder? Dank selbstfahrender Autos verlernen wir bald auch das Autofahren und ich kann es mir dann auch dort noch bequemer machen. Das wäre doch nett, aber wir verlernen so auch das Denken und Lernen. Wenn Bettina von Arnim behauptete „Selbstdenken ist der höchste Mut. Wer wagt, selbst zu denken, der wird auch selbst handeln.“ Was wird daraus resultieren, wenn wir es nicht mehr tun?

Du siehst die Welt freylich nicht, wie sie ist, sondern wie man sie von deinem Standorte, durch das von deinen Wünschen gefärbte Glas sehen kann; und dieser Standort ist dir zu lieb, als dass du ihn verlassen wolltest.

Adam Weishaupt

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.Sapere aude!

Habe Mut dich deines eigenen Verstande zu bedienen.