Frühschäden am menschlichen Körper durch radioaktive Strahlung

Seit Beginn der Welt hat sich alles Leben auf der Erde unter dem Einfluß von ionisierenden Strahlen entwickelt. Obwohl es die Theorie gibt, daß ein bestimmtes Maß an ionisierender Strahlung Lebensvorgänge auch positiv beeinflussen kann, gehen alle Schutzkonzepte grundsätzlich von einer schädlichen Wirkung dieser Strahlen aus. Dabei wird kein Unterschied zwischen natürlicher und künstlicher Radioaktivität als Quelle dieser Strahlen gemacht. Auf die Zelle als kleinste biologische Einheit wirken beide Arten gleich.Die schädliche Wirkung ionisierender Strahlen beruht darauf, daß sie lebende Zellen verändern oder zerstören können. Im wesentlichen unterscheidet man zwei Gruppen von Strahlenschäden:1. Akute StrahlenschädenStrahlenschäden treten sofort oder innerhalb weniger Wochen auf und setzen hohe Strahlendosen von einigen tausend Millisievert (mSv) voraus. Sie machen sich erst bemerkbar, wenn ein bestimmtes Maß geschädigter Zellen überschritten wird. Daher tritt diese Art von Schäden auch erst ab einer bestimmten Strahlendosis innerhalb eines vergleichsweise kurzen Zeitraumes, dem Schwellenwert, auf. Dieser liegt beim Menschen bei einmaliger Bestrahlung des ganzen Körpers zwischen 200 und 300 mSv. Es zeigen sich kurzzeitige, nur vom Arzt feststellbare Veränderungen des Blutbildes. Je höher die Strahlendosis ist, desto schwerer ist der Schaden, beginnend beim sogenannten Strahlenkater mit Übelkeit und Erbrechen über Schleimhautentzündungen und Fieber bis hin zum Tod.2. Spätschäden

Spätschäden treten erst Jahre bis Jahrzehnte nach der Bestrahlung mit mittleren oder niedrigeren Dosen auf. Sie werden wirksam, wenn die Strahlen den im Kern der Zelle gespeicherten Informationsgehalt verändert haben, die Zelle als solche aber weiterlebt. Je nachdem, ob es sich um eine Keimzelle oder eine Körperzelle handelt, kann es sich um eine Veränderung der Erbanlagen oder um bösartige Neubildungen wie Krebs, z.B. Leukämie, handeln. Die Höhe der Dosis ist nicht für die Schwere des Schadens, sondern für die Wahrscheinlichkeit einen Schaden zu erleiden, verantwortlich. Bei einer Gesamtstrahlendosis von 100 mSv ergibt sich ein Strahlenrisiko von etwa 0,5 %, an Krebs zu erkranken. Zum Vergleich, das "natürliche" Risiko, an Krebs zu erkranken, liegt bei etwa 20 %. Ziel des Strahlenschutzes ist es daher, die Strahlendosis nach Möglichkeit zu reduzieren!


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Wir Menschen sind immer und überall ionisierender Strahlung ausgesetzt. Sie ist nicht nur Bestandteil unseres täglichen Lebens, sondern sogar Teil von uns selbst: Der von Wissenschaftlern definierte "Standardmensch", 70 kg schwer und zwischen 20 und 30 Jahre alt, hat eine innere Radioaktivität von ca. 9.000 Becquerel (Bq) - das bedeutet, daß in seinem Körper jede Sekunde 9.000 Kernzerfälle stattfinden, fast 800 Millionen pro Tag. Hauptsächlichen Anteil an der natürlichen Radioaktivität des Menschen hat mit 4.500 Bq das radioaktive Kaliumisotop K40. Kalium und damit auch sein unvermeidbarer radioaktiver Anteil von 0,012 Prozent ist ein sehr häufig in unserer Umwelt vorkommendes Element und zugleich ein unverzichtbarer, lebenswichtiger Baustein des menschlichen Körpers.
Durch unsere zivilisatorischen Gewohnheiten und Gebräuche erhöhen wir zum Teil diese natürliche Strahlenbelastung. Das gilt beispielsweise für die Konzentration des natürlichen radioaktiven Gases Radon in Wohnungen, aber auch für Mineraldünger, früher für die Leuchtziffernblätter von Armbanduhren oder für Kacheln und Fliesen, die gern mit uranhaltigen Farbstoffen hergestellt wurden. Auch Heilwässer und Mineralquellen enthalten oft erstaunliche Mengen an strahlenden Stoffen. Dies galt sogar als werbewirksames Qualitätsmerkmal, das heute allerdings nur noch von wenigen als solches angesehen wird, seit Radioaktivität als gefährlich erkannt worden ist. Natürliche radioaktive Substanzen finden sich auch unter den schädlichen Bestandteilen des Tabakrauches.

Radioaktive Strahlung kann Körperzellen zerstören oder das Erbgut verändern. Aber nicht aus jeder Strahlenbelastung entwickeln sich zwangsläufig gesundheitliche Schäden, da unsere Zellen über Reparaturmechanismen verfügen. Wie so oft im Leben kommt es also auf die Dosis an.

Was die Wissenschaft mit Sicherheit weiß: Wenn ein Mensch innerhalb kurzer Zeit einer sehr hohen Strahlendosis von 500 Millisievert und mehr ausgesetzt ist, kommt es zu akuten Schäden: Haarausfall, Blutarmut oder Verbrennungen der Haut sind kurze Zeit später die Folge. Auch das blutbildende System im Knochenmark kann geschädigt werden.

Übersteigt die Strahlenbelastung 1000 Millisievert, werden Magen-Darm- und Herz-Kreislauf-Organe angegriffen. Im schlimmsten Fall sind Zellen und Organe so sehr geschädigt worden, dass die betroffene Person stirbt. Eine Strahlenbelastung mit solchen Auswirkungen kann etwa nach einem Nuklearunfall in unmittelbarer Nähe zum Unglücksort auftreten, wie es 1986 in Tschernobyl passierte.

Zum Vergleich: Die durchschnittliche Strahlenbelastung in Deutschland liegt bei 2,1 Millisievert pro Jahr.

Unser Tipp: Falls ihr mit Einheiten wie Sievert oder auch Becquerel nichts anfangen könnt, dann findet ihr die Erklärung hier.

Folgeschäden unklar

Auch Jahre bis Jahrzehnte später können sich Strahleneffekte noch im Körper zeigen. Grundsätzlich gehen Forschende davon aus, dass ionisierende Strahlung, zu der auch radioaktive Strahlung zählt, in fast allen Geweben und Organen Krebs auslösen kann.

So sind etwa radioaktives Iod oder Cäsium, die nach einem Reaktorunfall freigesetzt werden, für den Körper problematisch. Über die Atemluft oder die Nahrung aufgenommen, können sich die Radionuklide im Körper anreichern: Iod-131 in der Schilddrüse, Cäsium-134 und -137 im ganzen Körper.

Bis die Radionuklide im Körper nach 80 bzw. 110 Tagen zerfallen, bestrahlen sie das umliegende Gewebe, was zu Krebs führen kann. Auch Leukämie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Trübungen der Augenlinse konnten als mögliche Folge von Strahlenbelastung identifiziert werden.

Für solche Spätschäden ist es allerdings schwer, einen Grenzwert festzulegen. Schon geringe Strahlendosen können reichen, um das Erbmaterial von Zellen zu verändern. Je höher die Belastung, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwann zu Schäden kommen kann – aber eben nicht zwangsläufig muss. Erst bei einer Strahlendosis über 100 Millisievert sind sich Forschende sicher, dass sich das Risiko für Krebs oder Missbildungen bei Neugeborenen erhöht.

Eine Explosion und Brände im Kernkraftwerk setzten unkontrolliert große Mengen radioaktiven Materials frei. Durch den Unfall wurde eine Fläche von 150.000 Quadratkilometer in Weißrussland, der Ukraine und Russland kontaminiert. Mehr als 330.000 Menschen, die nahe dem Reaktor lebten, mussten evakuiert werden. Der überwiegende Teil der schwerflüchtigen Nuklide verblieb zwar im Bereich um den Reaktor. Doch leicht flüchtige Radionuklide wie Iod-131, Cäsium-134 und -137 wurden mit dem Wind über weite Strecken transportiert. Dadurch waren in Europa weitere 45.000 Quadratkilometer Land – wenn auch regional unterschiedlich stark – Strahlung durch Iod- und Cäsiumisotope ausgesetzt.

Nach einem Erdbeben kam es vor der japanischen Küste zu einem verheerenden Tsunami, der tausende Menschen in den Tod riss. Das Kernkraftwerk in Fukushima hielt dem Druck des Wassers nicht stand, es kam zu einem schweren Reaktorunfall. Bei den Explosionen wurden nach Angaben des Betreibers Tepco 500.000 Terabecquerel Jod-131 in die Luft geschleudert – etwa halb so viel wie in Tschernobyl. Auch Cäsium-137 wurde freigesetzt. Aus Sicherheitsgründen wurde die Region 20 Kilometer um das Kraftwerk evakuiert.

Der Kernkraftwerksunfall im japanischen Fukushima-Daiichi und das Unglück in Tschernobyl zählen – gemessen an der Menge des freigesetzten radioaktiven Materials – zu den bisher schwersten Reaktorunfällen in der Geschichte der Kernkraftwerke. Vor allem zu den Folgen von Tschernobyl gibt es unzählige Studien und Forschungsberichte – mit teils sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

Die Folgen von Tschernobyl

Relativ gut erfasst ist das Ausmaß der akuten Strahlenschäden. Aus einem Bericht des wissenschaftlichen Ausschusses der Vereinten Nationen zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR), gehen dazu folgende Zahlen hervor:

  • Von den 600 Menschen, die zum Zeitpunkt der Explosion im Atomkraftwerk beschäftigt waren, sollen 134 einer Strahlendosis von mehr als 4000 Millisievert ausgesetzt worden sein.
  • 28 von ihnen sind innerhalb der ersten drei Monate an den Akutfolgen der Strahlenbelastung gestorben.
  • Der Rest entwickelte eine akute Strahlenkrankheit und musste über Jahre wegen Verbrennungen, Infektionen und Hauttransplantationen behandelt werden.
  • Weitere 19 starben in den darauffolgenden Jahren zwischen 1987 und 2006.

Ab hier hört die Klarheit allerdings auf. Denn über die gesundheitlichen Langzeitfolgen des Unglücks in Tschernobyl gibt es seit Jahren Kontroversen. 6848, 60.000 oder sogar 1.440.000 Opfer? Je nachdem, welche Quelle man heranzieht, finden sich dazu unterschiedliche Zahlen.

Krebs durch Strahlung

6848 Schilddrüsenkrebsfälle wurden bis 2005 bei Menschen diagnostiziert, die in den kontaminierten Regionen der Ukraine, Weißrussland und Russland gelebt haben und radioaktivem Iod ausgesetzt waren. Das berichtet die UNSCEAR im Jahr 2011. Betroffen sind Menschen, die zum Zeitpunkt des Unglücks unter 18 Jahre alt waren – denn Schilddrüsenkrebs tritt vermehrt erst ab dem Alter von 40 Jahren auf.

Inzwischen hat die UNSCEAR die Zahl auf 20.000 registrierte Schilddrüsenkrebsfälle nach oben korrigiert. Es wird vermutet, dass in Zukunft weitere Krebsfälle diagnostiziert werden, auf konkrete Zahlen wolle man sich aber nicht festlegen.

Zu allen weiteren Erkrankungen, die das Reaktorunglück ausgelöst haben könnte, hält sich die UNSCEAR bedeckt: Bei 530.000 Aufräumarbeitern gebe es zwar Hinweise auf „leicht erhöhte Raten“ an Leukämie und Augenlinsentrübungen, die durch relativ niedrige Strahlendosen verursacht werden können. Darüber hinaus habe man keine Belege für strahlenbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen gefunden. Weitgehend unerforscht sei auch die Auswirkung von Radioaktivität auf die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Zukünftige Opfer

Den UNSCEAR-Berichten gegenüber steht beispielsweise der TORCH-Report. Er wurde 2005 von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern veröffentlicht, die mit den Zahlen der offiziellen Organisationen (UNSCEAR, WHO, IAEA) nicht einverstanden waren. Die Kritik: Es wurde nicht über Fälle berichtet, die erst in Zukunft eintreten, und es wurden nur die Regionen in der Ukraine, Weißrussland und Russland betrachtet. Aber auch andere Länder seien mit radioaktivem Iod kontaminiert gewesen. Somit sei das volle Ausmaß des Unglücks nicht abgebildet.

Der TORCH-Report prognostizierte deshalb 30.000 bis 60.000 Krebsfälle weltweit, die ihre Ursache im Reaktorunglück von Tschernobyl finden. Alexej Jablokow von der Russischen Akademie der Wissenschaften ging sogar von noch größeren Opferzahlen durch Tschernobyl aus: 1,44 Millionen Tote weltweit.

Diese Zahlen stellte der Wissenschaftler 2011 auf dem Kongress „25 Jahre Folgen der Tschernobyl-Katastrophe“ vor. Jablokows Zahlen liegt die kontrovers diskutierte Annahme zugrunde, dass auch Niedrigstrahlung gesundheitliche Folgen haben kann. Selbst ein einzelnes radioaktives Atom könne demnach im Körper Krebs auslösen, wenn es das Erbgut verändert.

Die Folgen von Fukushima

Anders als bei Tschernobyl sind nach dem Unglück von Fukushima in Japan keine akuten Strahleneffekte in der Bevölkerung aufgetreten, berichtet das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Weitere gesundheitliche Auswirkungen seien innerhalb und außerhalb Japans niedrig, schlussfolgern sowohl die Weltgesundheitsorganisation 2013 als auch die UNSCEAR 2014. So seien Depressionen und posttraumatische Stress-Syndrome die stärkste Auswirkung für die Bevölkerung. Weitere Risiken ergäben sich nur für einzelne Krebsformen und Bevölkerungsgruppen. Am ehesten sei in Japan mit zusätzlichen Schilddrüsenkrebsfällen zu rechnen.

Bei einem ersten Screening zwischen 2011 und 2014 wurden 300.000 Kinder und Jugendliche untersucht und dabei tatsächlich 110 bösartige Schilddrüsentumore gefunden. Damit ist die Rate mehrere Dutzend Mal höher als beim japanischen Durchschnitt. Bei Folgeuntersuchungen wurden bis September 2016 noch 68 weitere Schilddrüsenkrebsfälle in dieser Gruppe diagnostiziert.

Erster Strahlentoter durch Fukushima

Sieben Jahre nach dem Reaktorunglück in Fukushima wurde ein erster Todesfall bekannt gegeben. Ein Kraftwerksmitarbeiter sei an Lungenkrebs gestorben, der auf die erhöhte Strahlenbelastung während der Atomkatastrophe zurückgehe. Das berichten japanische Medien unter Berufung auf das Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales. Auch die Krebserkrankungen dreier weiterer Arbeiter führt das Ministerium auf ihre Tätigkeit an dem Atomkraftwerk zurück.

Der verstorbene Lungenkrebspatient arbeitete seit 1980 für den Kraftwerksbetreiber Tepco und gehörte zu einem Team, das Strahlenmessungen vornahm. Den Aufzeichnungen über die tägliche Strahlenbelastung zufolge hatte er über sein Arbeitsleben 195 Millisievert abbekommen – das meiste davon in den Tagen der Katastrophe. Die Regeln besagen: Sobald ein Mitarbeiter innerhalb von fünf Jahren einer Dosis von mehr als 100 Millisievert ausgesetzt war und an Krebs erkrankt ist, wird der Tumor als Arbeitsunfall anerkannt.

Bei den Folgen von Reaktorunfällen wie in Tschernobyl oder Fukushima steht am Ende eine Frage im Fokus: Ist wirklich die radioaktive Strahlung für einen Anstieg von Krebs, Herz-Kreislauf-Störungen oder anderen Gesundheitsproblemen bei einem Teil der Bevölkerung verantwortlich? Oder wären die Menschen im Laufe ihres Lebens auch erkrankt, ohne dass sie Strahlung ausgesetzt waren?

Fakt ist: Strahlenbedingte Krebsfälle unterscheiden sich unter dem Mikroskop nicht von anderen Krebsfällen, die spontan auftreten. Ein Zusammenhang zwischen Strahlenbelastung und Krebs lässt sich also nur in Statistiken belegen. Und zwar dann, wenn die Anzahl zusätzlicher Krebsfälle signifikant höher ist als die übliche Zahl an Krebserkrankungen in der Bevölkerung. So ist beispielsweise bei weißrussischen Kindern aus der Region Tschernobyl Schilddrüsenkrebs 30-mal häufiger aufgetreten als vor dem Unglück.

Experimentelle Studien schwer umsetzbar

Um verlässliche Aussagen über Dosis und Wirkung treffen zu können, führen Forschende experimentelle Studien durch. Dabei werden Versuchspersonen zufällig und unter kontrollierten Bedingungen einer Exposition, zum Beispiel einem Medikament, ausgesetzt und mit einer Kontrollgruppe, die das Medikament nicht bekommt, verglichen. Aus ethischen Gründen lassen sich die Auswirkungen von Strahlung auf den Menschen auf diese Weise nicht untersuchen.

Stattdessen müssen Forschende auf epidemiologische Studien zurückgreifen. Hier werden Zusammenhänge zwischen dem Auftreten einer Krankheit und Risikofaktoren wie radioaktiver Strahlung bei einer großen Gruppe von Personen beobachtet. Allerdings kennen Forschende hier meist nicht alle Randbedingungen. Dazu zählt etwa, ob die an Krebs erkrankten Personen rauchen oder viel Alkohol konsumieren – Faktoren, die ebenfalls Krebs begünstigen können.

Dass ein Risikofaktor wie radioaktive Strahlung tatsächlich die Ursache einer Erkrankung bei einer einzelnen Person ist, lässt sich durch epidemiologische Studien im formalen Sinn deshalb nicht beweisen!

Zusätzliche Krebsfälle können auch andere Ursachen haben

Wenn Forschende zusätzliche Krebserkrankungen in der Bevölkerung finden, kann es dafür noch einen weiteren Grund geben: Nach Reaktorunglücken werden meist flächendeckende Untersuchungen von Personen durchgeführt – wie sie etwa bei 300.000 japanischen Kindern und Jugendlichen nach Fukushima erfolgten.

Diese Screenings hätten ohne das Reaktorunglück nicht stattgefunden und könnten demnach mehr Erkrankungen aufdecken, als ohne sie auffallen würden. Dieser sogenannte Screening-Effekt kann zu einer Überschätzung des Risikos führen. Auch bessere Krebsregister oder Diagnosemethoden können dazu führen, dass die diagnostizierte Krebsrate steigt.

Bis Krebs bei einem Menschen tatsächlich ausbricht, kann es je nach Tumorart bis zu zehn Jahre oder noch länger dauern. Das erklärt auch, weshalb noch immer Schilddrüsentumore diagnostiziert werden, die mit Tschernobyl in Verbindung gebracht werden können: Waren es 2005 etwas mehr als 6000 Fälle, stieg die Zahl bis 2017 auf etwa 20.000 Diagnosen an.

Das bedeutet: Manche gesundheitlichen Auswirkungen des Reaktorunglücks in Fukushima können 2019, also acht Jahre später, noch gar nicht diagnostiziert werden – weil es sie unter Umständen noch gar nicht gibt. Um das tatsächliche Ausmaß zu ermitteln, sind epidemiologische Langzeitstudien also zwingend notwendig.

Bei zukünftigen Untersuchungen sollten auch psychische Faktoren einheitlich erfasst werden. Denn wie erste Studien an Aufräumarbeitern zeigen, können mit Suizidgedanken, Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen die psychischen Folgen eines Reaktorunglücks über die rein körperlichen hinausgehen.

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  • Steinhoff (2014). Fukushima: Bericht des VN-Ausschusses zur Untersuchung der Auswirkungen atomarer Strahlung (UNSCEAR). Bericht für den deutschen Bundestag.
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