Wie hoch ist die wahrscheinlichkeit an corona zu erkranken

Die Corona-Maßnahmen fallen. Gleichzeitig warnen Forschende vor einer neuen Krankheitswelle, die auch Genesene treffen könnte. Wie hoch ist das Risiko, sich ein zweites Mal zu infizieren?

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Wer eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht hat, könne sich nach drei Monaten bis fünf Jahren wieder anstecken – zu dem Ergebnis kam eine US-amerikanischen Studie im Oktober 2021. Das ist im Vergleich zu anderen Coronaviren relativ schnell. Und mit der noch ansteckenderen Omikron Variante könnte sich der Zeitraum bis zur zweiten Infektion sogar deutlich verkürzen.

Das liegt hauptsächlich daran, dass die Antikörperspiegel im Blut mit der Zeit nachlassen und so eine erneute Infektion wahrscheinlicher wird. Die Forschenden ziehen daraus den Schluss, dass eine Herdenimmunität unmöglich sei und auch langfristig Maßnahmen zum Schutz vor dem Coronavirus nötig seien.

Wie hoch ist die wahrscheinlichkeit an corona zu erkranken

Ist eine Herdenimmunität wirklich möglich, wenn man sich regelmäßig wieder infizieren kann? imago images imago/C.Hardt/FutureImage

Nicht nur Antikörper schützen vor Infektionen

Aber es ist doch wichtig, diese Schlussfolgerungen ein bisschen zu relativieren – denn das bedeutet nicht, dass die Pandemie niemals aufhören wird. Es sind nämlich nicht nur Antikörper, die uns schützen. Nach einer Infektion oder Impfung bildet der Körper auch sogenannte T- und B-Zellen gegen den Erreger. Die sind sehr viel langlebiger als Antikörper – zum Teil bleiben sie ein Leben lang erhalten. 

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T-Zellen erkennen im Gegensatz zu Antikörpern nicht die Erreger selbst, sondern infizierte Zellen und zerstören diese. Das bedeutet, dieser Teil der Immunität läuft erst dann an, wenn man bereits infiziert ist. B-Zellen sind Antikörperproduzierende Zellen, aber auch sie müssen erst mit dem Erreger in Kontakt kommen, um neue Antikörper herzustellen.

Obwohl diese Systeme erst hochfahren müssen, wird eine Infektion schneller abgewehrt als ohne Immunität, wodurch der Krankheitsverlauf bei einer Reinfektion in der Regel deutlich schwächer ausfällt. 

Wie hoch ist die wahrscheinlichkeit an corona zu erkranken

Die menschliche Immunabwehr ist sehr komplex. Vor Infektionen schützen nicht nur Antikörper, sondern auch T- oder B-Helferzellen. (Symbolbild) imago images imago images/Shotshop

Vielleicht längere Immunisierung nach Reinfektion oder Impfdurchbruch

Für das Immunsystem ist es nicht wichtig, ob wir uns infizieren oder impfen lassen. Die Immunität ist im Prinzip die gleiche, auch wenn sie auf die eine oder andere Art vielleicht etwas stärker oder schwächer ausfällt. Eine Reinfektion ist deswegen praktisch das gleiche wie ein Impfdurchbruch und wirkt gleichzeitig wie eine Auffrischungsimpfung.

Nach einer Reinfektion oder einem Impfdurchbruch dürfte die Immunität – wie nach einer Auffrischungsimpfung – also stärker sein als nach der ursprünglichen Infektion oder der Impfung.

Wie hoch ist die wahrscheinlichkeit an corona zu erkranken

Eine Reinfektion oder regelmäßige Auffrischungsimpfungen könnten mittelfristig dazu führen, dass die SARS-CoV-2-Viren ihre Gefährlichkeit verlieren. imago images imago images/Andre Lenthe

Mehr Reinfektionen durch Omikron-Variante

Doch das Risiko einer zweiten Infektion ist mit Omikron deutlich gestiegen. Denn durch den meist milden Krankheitsverlauf werden weniger Antikörper und T-Gedächtniszellen gebildet, die eine Neuinfektion abwehren könnten. Eine kleine Studie aus den USA konnte das bereits nachweisen: So hatten Probanden mit Delta-Durchbrüchen im Vergleich zu Omikron über 10-fach höhere Antikörpertiter. Das heißt: Omikron-Infektionen bieten einen geringeren Schutz gegen eine erneute Infektion.

Ebenso schütze die Infektion mit einer früheren Variante weniger vor einer Infektion mit Omikron – laut einer Studie aus Qatar nämlich nur noch zu 56 Prozent. Andere Froschende gehen sogar von einem noch geringeren Schutz aus. Zum Vergleich: Bei der Delta-Variante lag der Schutz laut der Studie bei 92 Prozent.

Hinzu kommt, dass gerade mindestens zwei Omikron-Varianten im Umlauf sind. Diese seien unterschiedlich genug, sodass wir uns kurz nacheinander mit beiden anstecken könnten, warnt Immunologe Carsten Watzl.

Bisher gibt es nur wenige Studien, die sich mit Reinfektionen durch die unterschiedlichen Omikron-Varianten beschäftigen. Daten aus Großbritannien zeigen aber, dass die Zahl der Reinfektionen im Dezember 2021 rapide angestiegen ist – und das sogar überproportional zur ohnehin starken Zunahme an Omikron-Erstinfektionen.

Wachsende Grundimmunität durch Reinfektionen und Auffrischungsimpfungen

Für die nächsten Jahre bedeutet das, dass wir noch vorsichtig bleiben müssen. Mit Impfungen und Auffrischungsimpfungen wird die Belastung des Gesundheitssystems – vor allem der Intensivstationen – aber immer weiter abnehmen. Gerade bei geboosterten Personen schützt die Immunität immer noch sehr gut vor der schweren Erkrankung, wenn auch nicht so sehr vor der Ansteckung.

Zudem ist laut einer Studie aus den USA die Wahrscheinlichkeit für Ungeimpfte, sich erneut zu infizieren, mehr als doppelt so hoch wie für Genesene, die zusätzlich vollständig geimpft sind. Zwar war zum Zeitpunkt, als die Daten für die Studie erhoben wurden, die Omikron-Variante noch nicht präsent, allerdings kommt eine aktuellere Studie aus Österreich zu ähnlichen Ergebnissen: Selbst wenn Ungeimpfte eine Omikron-Infektion überstanden haben, hat der Körper im Vergleich zu geimpften Genesenen weniger neutralisierende Antikörper gebildet. Die Schlussfolgerung: Der Schutz vor einer erneuten Infektion ist geringer, eine Impfung deshalb auch für Genesen sinnvoll.

Wie hoch ist die wahrscheinlichkeit an corona zu erkranken

Geimpft, genesen, getestet? Der Immunschutz wird nach einer Auffrischungsimpfung oder eine Reinfektion bzw. einem Impfdruchbruch stärker – allerdings geht auch für Genesene und Geimpfte noch eine gewissen Gefahr von dem Virus aus, man sollte also immer eine Impfung bzw. eine Auffrischungsimpfung einer (Re-)Infektion vorziehen imago images imago images/Christian Ohde

Sehr wahrscheinlich wird irgendwann der Punkt kommen, an dem die allermeisten entweder geimpft sind oder sich schon mal mit dem Virus angesteckt haben. Dann besteht eine Grundimmunität in der Bevölkerung, die sich durch Reinfektionen und Auffrischungsimpfungen immer weiter verstärken wird. Infektionen werden dann immer ungefährlicher und irgendwann gesellt sich das Virus endgültig zu den anderen Erkältungsviren.

Viren können im Laufe der Jahre an Gefährlichkeit verlieren

Dass dieses Szenario nicht unrealistisch ist, zeigt auch das Coronavirus OC43, mit dem SARS-CoV-2 in der Reinfektionsstudie unter anderem verglichen wurde. Dieses Virus war vermutlich für die Russische Grippe der 1890er-Jahre verantwortlich, die weltweit mehr als eine Million Menschenleben forderte – eine Pandemie vergleichbar mit der Aktuellen. Heute aber ist OC43 so ungefährlich, dass die allermeisten wahrscheinlich noch gar nie davon gehört haben – obwohl sehr viele Menschen auf der ganzen Welt bereits mehrfach damit infiziert waren. Aber auch OC43 kann noch gefährlich werden. Säuglinge, ältere Menschen oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem können schwer erkranken. Das wird sich auch bei SARS-CoV-2 nicht ändern. Mit diesem Risiko müssen wir natürlich umgehen – diese Menschen müssen geschützt werden – aber wir müssen auch lernen mit dem Risiko zu leben, so wie wir auch mit dem Risiko leben, das immer noch von OC43 und anderen vermeintlich ungefährlichen Viren ausgeht.