Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte Bewertung?

„Für dieses facettenreiche und innovative Buchrezept nehme man: einen skurrilen Plot, eine freche und unverblümte Sprache, ein starkes Figurenensemble, eine große Portion Humor und zu guter Letzt verblüffend zutreffende Illustrationen! Dita Zipfels originelle Geschichte und Wortwitz passen ausgezeichnet zu Rán Flygenrings geistreichen Illustrationen. Die Lektüre lädt ein zum Nachdenken über scheinbare Verrücktheiten und Anderssein, ganz ohne moralischen Zeigefinger, dafür aber mit humorvoller Gelassenheit." Aus der Jurybegründung der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, 16.10.2020„Herrlich ironisch und in einer sehr direkten Sprache … Ein unkonventionelles Buch, das um die Frage ‚Was ist Wahrheit?‘ kreist. Großartig illustriert.“ Anke Jahns, NDR 1 Radio MV Kultur, 17.04.2020„Was ist Irrsinn und was Normalität? … Auf furiose Weise verbinden sich die Gefühle, Gedanken und Handlungen einer Dreizehnjährigen mit den wirren Ideen eines alten Mannes.“ Roswitha Budeus-Budde, Süddeutsche Zeitung, 27.02.2020„Dita Zipfels Jugendroman platzt vor absurder Ideen aus allen Nähten. Die Autorin erzählt sprachlich absolut lebendig und reißt temporeich viele lebensnahe Themen an. Rán Flygenrings Zeichnungen geben der total schrägen Geschichte um Lucie und einen seltsamen, alten Herren eine weitere Dimension.“ Karin Hahn, MDR Kultur, 23.12.2019„Eine krachige und mit ebenso viel Wumms illustrierte Geschichte übers Erwachsenwerden.“ Katrin Hörnlein, Die Zeit, 05.12.19

„Dieser Roman ist ein Erlebnis. … Ein herrlich verrücktes Buch für alle, die bereit für etwas Wahnsinn sind – genial illustriert von der Isländerin Rán Flygenring, deren Zeichnungen der Geschichte immer wieder eine weitere Dimension geben.“ Katharina Mahrenholtz, NDR, 27.09.19

Dita Zipfel

In Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte trifft die Protagonistin Lucie auf Herrn Klinge, der ihre Sicht auf die Welt stark verändert. Wie würdest du Lucie und Klinge beschreiben? Lucie ist eine ganz normale Dreizehnjährige, die auf ihre Achselhaare wartet und sich die Zwischenzeit mit dem Lösen von klassischen Familienproblemen vertreibt. Sie ist manchmal sehr erwachsen und manchmal noch Kind und hat die Schwankungen, zu ihrem Unglück, nicht unter Kontrolle. Was ich sehr an ihr mag, ist, dass sie schon vieles kapiert hat und trotzdem bereit ist zu lernen, dass sie stark ist, ohne es zu wissen, und Außenseiterin mit erhobenem Haupt.

Klinge ist ein ganz normaler Hundertsechsundachtzigjähriger mit einer übernatürlichen Reaktionsfähigkeit und dem Hang zum Drama. Er kann siebenundzwanzig Salti nacheinander, Fliegen mit der Machete köpfen und Feen die klitzekleinen Zähne ausschlagen. Man könnte sagen, dass er in seiner eigenen Welt lebt – aber tun wir das nicht alle irgendwie? Klinge versteckt seinen weichen Kern hinter ruppigem Verhalten, man darf nicht zimperlich sein in seiner Gegenwart, das ist klar. Aber – ganz ehrlich – so wirklich Bescheid wissen über Klinge, ist echt schwer.

Was können wir von Klinge lernen? Werden die Leser die Welt nach der Lektüre ein wenig anders sehen?
Wenn ich sage, man könne einen fantastischen Blick auf die Welt lernen, beißt mir Klinge heute Nacht ins Knie. Abgucken kann man sich vielleicht, den eigenen Blick zu bewahren, egal was andere darüber denken. Ich glaube fast, von Lucie kann man mehr lernen.

Wen möchtest du mit deinem Roman erreichen?
Hm, das ist eine schwierige Frage. Eine Frage, die ich mir während des Schreibens nicht stelle, weil sie mich zu sehr verwirren würde. Jetzt, wo das Buch fertig ist, möchte ich natürlich möglichst viele erreichen. Diejenigen, die wie Lucie gerade erwachsen werden, die, die noch nie vom Toxic Shock Syndrome gehört haben, diejenigen, die normalerweise niemals ein Buch lesen würden, die, die an Einhörner glauben und die, die es nicht tun.

Was hat dich auf die Idee gebracht, Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte zu schreiben?
Eine vierjährige Freundin erzählte mir von merkwürdigen Vorkommnissen im Gemüseregal. Da war von knackigen Feenbeinen und würziger Werwolfspucke die Rede. Von ihr habe ich gelernt, wie viel Blut für ein Blech Ofengemüse fließen muss.

Welcher Satz ist dein Lieblingssatz im Buch?
“Warum ist es eigentlich nicht wahnsinnig, daran zu glauben, dass ein Geist, der aussieht wie ein dünner, bekiffter Opa im Nachthemd, die ganze Welt gemacht hat?”

Wie der Wahnsinn mir die Welt erklärte Bewertung?

Jugendbuch-Couch Rezension von Sabine Bongenberg Sep 2019

Lucie Schmurrer lebt mit Mama, Bruder Janni und Mamas neuem Freund Michi zusammen. Das war schon früher nicht einfach, ist aber mit Michis Einzug noch komplizierter geworden. Offensichtlich ist dieser Grüne-Tee-trinkende-und-Norweger-Pullover-tragende-Yoga-Fan nämlich einer von denen, die immer eine eigenartige Fröhlichkeit und Liebenswürdigkeit zur Schau stellen, die andere Menschen schier in die Raserei zu treiben vermag.

Es gibt für Lucie also nur eine Lösung: Sie muss schnellstmöglich zur vorherigen Freundin ihrer Mutter reisen, die jetzt in Berlin lebt und mit der das Leben doch viel einfacher war. Wie aber das Geld dafür auftreiben? Und hier kommt der Teil der Geschichte ins Spiel, der wirklich den Wahnsinn beisteuert – denn der alte Herr, der Lucie tatsächlich als Hilfskraft, Sekretärin oder geistige Stütze engagiert, der läuft schon gewaltig neben der Spur. Er faselt von Werwolfspucke oder Drachenherzen und von seinem unfehlbaren Liebestrank. Grundsätzlich weiß Lucie ja, dass das Quatsch ist. Andererseits – der Marvin aus ihrer Klasse, ach, der ist schon nett...

Feenzahn mit Drachenherzen – oder doch nur Mais mit Tomaten?

Manchmal überfiel mich bei der Lektüre von Dita Zipfels Buch der Gedanke, dass sie möglicherweise eine tolle Idee hatte, daraus eine verrückte Geschichte zusammenspann, aber genauso fix von der nächsten guten Idee begeistert wurde. Zu schnell springt das Buch zwischen Familiengeschichte, Erwachsenwerden, modernem Märchen und sogar Kochbuch hin und her. Zu verrückt ist die Handlung um Lucie, die sich von dem mehr als eigenartigen alten Herrn Klinge als „Schreibkraft“ anstellen lässt und dessen wirre Ausführungen über Drachenherzen und Nixenhirne sie zu Papier bringen soll.

Wer sich an dieser Stelle fragt, ob es dem alten Herrn gelungen ist, hin und wieder einen Besuch bei Harry Potter und dessen phantastischen Tierwesen einzurichten, der wird jetzt vermutlich enttäuscht erfahren, dass es sich bei diesen magischen Körperteilen nur um fantasievoll verfremdetes Gemüse handelt – das je nach Betrachtung auch magischen Tierorganen ähneln kann. Oder eben einfach doch nur Gemüse ist.

Neben diesem Handlungsstrang erzählt die Autorin schwungvoll und witzig von Lucies Familie, die durch den Einzug des Yoga-Liebhabers und neuen Freundes der Mutter auch nicht einfacher geworden ist. Hier treten dann aber die ersten Fragezeichen auf: Sicherlich wäre schon die große Liebe der Mutter, die bis vor kurzem offensichtlich noch in einer lesbischen Beziehung glücklich war, sich nun aber zu dem offensichtlich saft- und kraftlosen Verehrer wandelte, eher eigenartig. Dass aber dafür ihre beiden Kinder nun auch noch zusammen in ein Zimmer ziehen müssen und sich alles nur noch um den neuen Freund und dessen Wohlbefinden zu drehen scheint, das wirkt in einer Geschichte, die ansonsten von Wachsen und Reifen erzählen will, nicht stimmig.

Unklar bleibt auch, warum Konflikte in der Familie als Möglichkeit angedacht, dann aber doch in Richtung des braven „Ja und Amens“ gewählt wurden. Lucie und ihr Bruder Jannis scheinen in der Familie neben der eigentlich als patent beschriebenen Mama allenfalls eine Nebenrolle zu spielen, und über alles andere hat der sanfte Michi seine Diktatur der Liebe geworfen. Es schüttelt einen bei der bloßen Vorstellung – aber verständlich ist es nicht. Auch die Autorin scheint in dieser temporeichen Geschichte ab und zu den Überblick verloren zu haben, wohnen die Geschwister doch in einem Kapitel zusammen, im nächsten dagegen scheinbar wieder nicht.

Eine vollkommen überladene Geschichte

Dita Zipfel will ein bisschen arg viel: Es soll zum einen die Geschichte von Lucie erzählt werden, die mit dem Schwarm der Klasse nicht so recht viel anfangen kann. Es sollen sagenhafte Geschichten über Gegenstände erzählt werden, die möglicherweise einer fantastischen Welt entstammen – möglicherweise aber auch nicht. Es soll erzählt werden, wie die Heldin des Buches lernt, zu sich selbst und zu ihrer manchmal etwas verrückten Familie zu stehen. Es soll vermittelt werden, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen ganz normal sind. Und zum Schluss gibt es obendrein noch ein paar vegetarische – oder sogar vegane (lässt man die saure Sahne weg) – Kochrezepte. All das ist schon ein bisschen viel und damit hat man manchmal das Gefühl, auch die Autorin weiß vor lauter Fantasie, Lässigkeit und guter Laune nicht mehr, wohin sie mit ihrer Geschichte will.

Fazit

Immerhin können einige Geschichten zu Ende erzählt werden, einige bleiben aber weit offen und bei allem Schwung und Spritzigkeit bleibt auch ein bisschen ein unbefriedigendes Gefühl zurück. Zwar erreicht Lucie das ein oder andere Ziel, löst sich der Familienkonflikt nicht auf. Damit dürften das Abenteuer und der eigentliche Wahnsinn noch vor ihr liegen…

Alljährlich wird im Juni der Pride Month gefeiert, um die Vielfalt unserer Gesellschaft hervorzuheben. Weltweit erheben Schwule, Lesben, Transgender, Bisexuelle und Menschen anderer sexueller Orientierungen ihre Stimme für Toleranz und stärken so die Gemeinschaft. LGBTQ+ ist schon lange kein Randthema mehr in der Jugendliteratur, sondern ein zentraler Aspekt zahlreicher Neuerscheinungen.

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