Warum muss sich überhaupt der erzieherische Zwang legitimieren?


Leseprobe

1. Einleitung

2. Zur Legitimation von Erziehung

3. Zum Erziehungsbegriff nach Immanuel Kant 3.1 Die Pädagogik der Aufklärung 3.2 Die Erziehung zur Freiheit

3.3 Das Verhältnis von Freiheit und Zwang

4. Die Mittel der guten Abrichtung nach Michel Foucault

5. Resümee

6. Quellen- und Literaturverzeichnis 6.1 Quellen

6.2 Literatur

1. Einleitung

Solange der Gebrauch der eigenen Freiheit nicht zum erklärten Erziehungsziel wird, besteht auch keine Notwendigkeit zur Legitimation der Anwendung von Zwang in der Erziehung. In einer so verstandenen Pädagogik würde Disziplinierung zum Mittel, um den Willen des Kindes durch Zwang zu unterdrücken (vgl. Engelhardt und Seidl 2011, S. 119).

Eine moderne Erziehung hingegen verfolgt, neben den Zielen den Zögling zur Selbstbestimmung und Mündigkeit zu erziehen, das Ziel den Gebrauch der eigenen Freiheit zu schulen (vgl. ebd., S. 113). Die heutigen Erziehungsziele haben somit ihre ideengeschichtlichen Wurzeln in der Philosophie der Aufklärung (vgl. Grundmann 2011, S. 63).

In der Aufklärung wurde nach Freiheit, Mündigkeit und Unabhängigkeit gestrebt. Man strebte ein selbstbestimmtes Denken an, unabhängig von religiösen, gesellschaftlichen und politischen Traditionen. Es galt sich der eigenen Vernunft zu bedienen (vgl. Kant 1784, S. 53-55). Besonders die deutsche Aufklärung war dabei von der Allmacht der Erziehung überzeugt (vgl. Schmid 2006, S. 18). Immanuel Kant formulierte in seiner Schrift Über Pädagogik: „Der Mensch kann nur Mensch werden durch Erziehung“ (Kant 1803, S. 699). Das Ziel der aufklärerischen Erziehung war es, einen freien Menschen zu schaffen, der in der Lage war, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen.

In einer solchen Erziehung, welche Freiheit zum Ziel hat, stellt sich, anders als in der zu Beginn angeführten dominanten Erziehung, mit dem Ziel den Willen des Zöglings zu brechen, die Frage, ob die Anwendung von Zwang durch die Erziehung nicht im Widerspruch zum erklärten Erziehungsziel stehe. Denn Erziehung impliziert auch immer die Anwendung von Zwang, welche einen Eingriff in die Freiheit des Zöglings bedeutet (vgl. Luckner 2003, S. 74). Dieses pädagogische Paradoxon beschrieb Immanuel Kant seinerseits als „[e]ines der größten Probleme der Erziehung“ (Kant 1803, S. 711). Gleichzeitig führt er an: „Zwang ist nötig!“ (ebd.).

Diese Arbeit widmet sich dem vermeintlichen Widerspruch in der Erziehung, zur Freiheit zu Führen unter gleichzeitiger Einschränkung selbiger. Es soll gezeigt werden, inwieweit der Eingriff in die Freiheit des Zöglings legitim ist und wo die Grenzen eines solchen Eingriffes gezogen werden. Oder bleibt die Anwendung von Zwang in der Erziehung ein unauflösbarer Widerspruch?

Es werden schwerpunktmäßig die Ideen des aufklärerischen Philosophen Immanuel Kants herangezogen, welcher diesem Paradoxon die Überschrift gab „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange“ (ebd.).

Zusätzlich wird mit Michel Foucault ein weiterer Philosoph herangezogen, welcher seine Arbeiten oft in den Schatten der Schriften Kants stellte und diese zu einem wesentlichen Ankerpunkt seiner Ideen werden ließ (vgl. Riefling 2013, S. 72-74; Thompson 2004, S. 31). Foucault stellt einen Wandel der Disziplinierung durch Strafe fest, in dieser Arbeit werden diesbezüglich insbesondere Die Mittel der guten Abrichtung behandelt.

Um sich der Fragestellung anzunähern, wird im Anschluss eine Einführung in den Diskurs zur Legitimation von Erziehung gegeben. Hier soll gezeigt werden, unter welchen Umständen und aufgrund von welchen Erziehungszielen eine Einschränkung der Freiheit durch pädagogische Eingriffe gerechtfertigt wird. Anschließend wird sich dem Erziehungsbegriff nach Immanuel Kant gewidmet. Dazu wird zunächst ein Überblick über die Pädagogik der Aufklärung gegeben. Damit soll eine Einordnung in den zeitgeschichtlichen Hintergrund stattfinden, um aufzuzeigen, in welchem zeitgenössischen Kontext die pädagogischen Ideen Kants entstanden sind. Erst hiernach wird auf seine Vorstellungen über eine gute Erziehung, im Sinne einer Erziehung zur Freiheit, eingegangen. Danach werden Kants Vorstellungen zum Verhältnis von Freiheit und Zwang bei der Erziehung in einem eigenen Unterkapitel behandelt. Nachfolgend werden Michel Foucaults Vorstellungen über die Anwendung von Disziplin und Zucht erläutert, welche dazu dienen einzelne Individuen abzurichten. In einem abschließenden Resümee findet eine letzte kritische Auseinandersetzung mit dem pädagogischen Paradoxon der Anwendung von Zwang in der Erziehung sowie dessen Verhältnis zur Freiheit statt.

2. Zur Legitimation von Erziehung

Wodurch wird Erziehung legitimiert? Eine Frage, die überflüssig erscheint, ist die Erziehung doch zu einem unumgänglichen Faktum geworden. Für die ältere Generation ist sie zudem eine Pflicht gegenüber der heranwachsenden Generation, welche für Eltern sogar im Grundgesetz verankert ist (vgl. Brumlik 2013, S. 2f.). Schon Immanuel Kant bezeichnete die Erziehung seinerzeit als eine Aufgabe der älteren Generation (vgl. Kant 1803, S. 700). Unstrittig ist zudem, dass Neugeborene jene Fähigkeiten, welche sie zum Leben in einer Gesellschaft benötigen, von der älteren Generation erwerben (vgl. Brumlik 1992, S. 94f.).

Erziehung scheint folglich für sich genommen nicht legitimationsbedürftig, da sie zur geistigen Reproduktion einer Gesellschaft unausweichlich ist. Legitimationsbedürftig sind jedoch einzelne Handlungen innerhalb der Erziehung, da sie gegen die Freiheit und gegen den potenziellen Willen des Zöglings verstoßen können (vgl. Brumlik 2013, S. 4).

Erziehung bedeutet bis zu einem gewissen Grad auch die Ausübung von Zwang, welcher in die individuelle Freiheit des zu Erziehenden eingreift (vgl. Luckner 2003, S. 74). Dieser Eingriff kann auch ohne dessen Zustimmung oder sogar gegen dessen erklärten Willen stattfinden (vgl. Brumlik 1992, S. 82). Der mündige Erzieher räumt sich also das Recht ein, Kraft seiner rationalen Einsicht, die Rechte nicht mündiger Personen wahrzunehmen. Dabei kann das erzieherische Handeln durchaus, aus der subjektiven Sicht des zu Erziehenden, als irrational wahrgenommen werden (vgl. Brumlik 1992, S. 89f.).

Dieser Umstand konnte vor der aufklärerischen Bewegung mit dem Verweis auf ein bestimmtes vorher festgelegtes Menschenbild gerechtfertigt werden. Mit der Aufklärung existierte jedoch ein solches fixes Menschenbild nicht mehr, es wurde sogar systematisch ausgeschlossen. Anstelle dieses vorbestimmten Menschenbildes rückte nun die Vorstellung, dass der Zögling nunmehr selbst bestimmen sollte, zu wem oder was er wird (vgl. Luckner 2003, S. 74). Die Kindheit wurde seither als eigener Lebensabschnitt verstanden (vgl. Schmid 2003, S. 16).

Der Verweis auf eine außerweltliche Legitimation von Erziehung hat seit der Aufklärung keine Berechtigung mehr. Die aufklärerische Pädagogik möchte diese nun innerweltlich legitimieren. Sie setzt für die Erziehung die Devise, sich nunmehr ausschließlich am Menschen selber zu orientieren (vgl. ebd., S. 18).

Die Pädagogik kann sich folglich nicht mehr durch den Verweis auf Gott legitimieren, wie sieht eine Begründung der Erziehung also aus, wenn sie sich am Menschen selber orientieren muss? Oft folgt an dieser Stelle der Verweis auf die Ideale der Aufklärung und hier insbesondere die sich auf Mündigkeit und Vernunft stützende moralphilosophische Argumentation Kants. Gerade Kant ist es, der den Verlust der religiösen Deutungshoheit erkannt hat und in seinen Schriften nach neuen Möglichkeiten der Legitimation gesucht hat (vgl. Riefling 2013, S. 151f.).

Um der Problematik einer zeitgemäßen Legitimation der Erziehung gerecht zu werden soll im Folgenden die advokatorische Ethik herangezogen werden.

Bei der Thematik der Legitimation der Erziehung wird nicht selten auf ihre verfolgten Ziele und Ergebnisse verwiesen, welche mit erzieherischem Handeln erreicht werden sollen. So stellt sich die Frage, welche Fähigkeiten und Eigenschaften der Mensch durch Erziehung erwerben soll, um ein geordnetes und sinnvolles gesellschaftliches Zusammenleben gewährleisten zu können (vgl. Grundmann 2011, S. 63).

Die teleologische Begründung der Erziehung argumentiert genau mit einem solchen Verweis auf die Erziehungsziele. Die Erziehungsziele sind jene Zustände, welche von einer Gesellschaft durch Erziehungsprozesse in den zu Erziehenden erreicht werden sollen (vgl. Brumlik 2013, S. 9).

Bei teleologischen Begründungen findet ebenfalls oft eine Anknüpfung an die Pädagogik der Aufklärung statt und damit geht oft auch der Verweis auf die kantische Moralphilosophie einher, welche die Mündigkeit als oberstes Erziehungsziel postuliert (vgl. ebd.). Die Erziehung wird folglich mit dem Verweis auf die aufklärerischen Ideale legitimiert. Legitimation wird durch das angestrebte Erziehungsziel geliefert, einen Menschen schaffen zu wollen, welcher in der Lage ist selbstbestimmt und vernunftgeleitet zu entscheiden und zu leben.

Ein weiteres Problem tritt auf, wenn man sich vor Augen führt, dass Erziehung nicht zwischen mündigen Personen stattfindet, sondern es einen Prozess zwischen mündigen und unmündigen Personen darstellt (vgl. ebd., S. 1). Die handelnden Personen sind folglich ungleich handlungs- und verantwortungsbegabt (vgl. ebd. S. 7). Somit werden auch die Erziehungsziele nicht von jenen unmündigen Personen mitbestimmt und ihre Freiheit somit zusätzlich eingeschränkt, indem ihnen dieses Recht gewissermaßen verwehrt wird.

An dieser Stelle kommt die deontologische Begründung ins Spiel, welche sich weniger auf die Erziehungsziele sowie –ergebnisse richtet, sondern vielmehr auf ihre Handlungsweise, also auf ihre innere Form (vgl. ebd., S. 5).

Die deontologische Legitimation der Erziehung löst diesen erzieherischen Konflikt, indem die Interessen des Zöglings stellvertretend durch den Erziehenden wahrgenommen werden sollen. Dementsprechend soll die Erziehung nach der Maxime handeln die Zustimmung des zu Erziehenden mindestens unterstellen zu können. Da unmündige Personen nicht in der Lage sind sich an dem Begründungsdiskurs der Erziehung zu beteiligen, sind dessen Interessen und Meinungen nach der advokatorischen Ethik entweder begründet zu vernachlässigen oder hypothetisch zu berücksichtigen (vgl. ebd., S. 7).

Eine Legitimation der erzieherischen Eingriffe in die individuelle Freiheit des Zöglings kann folglich nur auf der Annahme beruhen, dass Erziehung eben kein Prozess zwischen mündigen Individuen beschreibt, sondern eine Handlung zwischen Mündigen und Unmündigen, welche erst zur Mündigkeit erzogen werden müssen, darstellt.

3. Zum Erziehungsbegriff nach Immanuel Kant

„Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ (Kant 1784, S. 53). Damit fasste Immanuel Kant in seiner Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? die Aufklärung in einem Leitsatz zusammen. Er implizierte mit diesem gleichzeitig die aufklärerische Forderung sich aus der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ (ebd.) zu befreien und selbstbestimmt, frei sowie vernunftgeleitet zu denken und zu handeln.

Diese Befreiung des Menschen aus der Unmündigkeit könne laut Kant nur langsam vonstattengehen, niemals aber durch Revolution geschehen. Aus einer Revolution würde demnach niemals eine wahre Reformierung des menschlichen Geistes hervorgehen können. Zu einem aufgeklärten Menschen sei nichts weiter erforderlich als Freiheit. Wie soll diese nun aber erreicht werden, wenn nicht durch Revolution? Kants Antwort darauf lautete: Durch Erziehung (vgl. Kant 1803, S. 699).

Immanuel Kant ist jedoch kein Pädagoge im eigentlichen Sinne. Er ist Philosoph, einer der einflussreichsten in der deutschen Aufklärung. Seine hier schwerpunktmäßig herangezogene Schrift Über Pädagogik ist zugegebenermaßen eine von einem Schüler herausgearbeitete fragwürdige Zusammenfassung seiner Manuskripte und stellt die einzige direkte Auseinandersetzung mit Pädagogik dar. Dennoch war sein Einfluss auf die Erziehung unverkennbar (vgl. Luckner 2003, S. 72).

Seine Philosophie der Erziehung beinhaltete grundlegende Aussagen über das Wesen einer aufgeklärten Erziehung sowie dem Verhältnis von Freiheit und Zwang. Die von ihm manifestierten Ideale der Erziehung, finden, wie bereits festgestellt wurde, noch heute Einzug in den Begründungsdiskurs der Erziehung. Aus diesem Grund ist Kants Erziehungsbegriff nicht weniger wichtig, nur weil er kein Pädagoge ist, sondern im Gegenteil wegweisend für die Legitimation von Disziplinierung in der Erziehung.

3.1 Die Pädagogik der Aufklärung

Die Gesellschaft zur Zeit der Aufklärung war ständisch gegliedert in Adel, Bürgertum und Bauern. Diese ständische Gliederung sah für den Adel gewisse Privilegien vor, während vier Fünftel der Bevölkerung auf dem Land größtenteils in Armut lebten. Diese Zustände wurden infolge der aufklärerischen Bewegung hinterfragt, die Ständegesellschaft befand sich also im Wandel (vgl. Schmid 2003, S. 15f.).

Gerade die Legitimität adliger Vormacht wurde mehr und mehr in Frage gestellt. Die durch Geburt gottgegebenen Rechte des Adels wurden erstmals legitimitätsbedürftig. An ihre Stelle sollten nun gleiche Rechte für alle gesetzt werden. Bürgerliche Verdienste und Leistung sollten nunmehr, so die aufklärerische Forderung, über den Stand in der Gesellschaft entscheiden. Die Adelskritik wuchs folglich in der Bevölkerung und erreichte schlussendlich in der Französischen Revolution ihren Höhepunkt (vgl. ebd.).

Jener aufklärerische Grundgedanke mit der Forderung nach bürgerlichen Freiheitsrechten fand seinen Einzug auch im erzieherischen Denken seinerzeit. Zur Zeit der Aufklärung wurde „so breit und leidenschaftlich wie nie zuvor über pädagogische Fragen diskutiert und eine neue Vorstellung von Erziehung artikuliert“ (ebd., S. 15). Freiheit wurde zum zentralen Begriff der aufklärerischen Pädagogik (vgl. Engelhardt und Seidl 2011, S. 115f.).

Mit dem sich vollziehenden Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse vollzog sich also auch ein Wandel der Auffassung des Erziehungswesens. Die Berufung auf ein göttliches Welt- und Menschbild hatte als Legitimationsmittel in den Köpfen vieler Menschen ausgedient (vgl. Fertig 1977, S. 69). Während Erziehung zur Zeit der Aufklärung noch außerweltlich durch die Religion begründet wurde, forderte man nun eine innerweltliche Begründung eben dieser (vgl. Schmid 2003, S. 18).

Die protestantische Buchgelehrsamkeit sollte einer tätigen Erziehungsarbeit weichen, welche sich am Menschen orientierte. Die Vernunft wurde nun nicht mehr bloß als harmonische Ergänzung der christlichen Lehre verstanden, sondern war nun Mittel geworden diese kritisch zu prüfen (vgl. Fertig 1977, S. 69f.). Die Vervollkommnung des Menschen und die Erlangung irdischer Glückseligkeit sollte nun zum Ziel der Erziehung werden und an die Stelle, jener Erlangung göttlichen Segens und der Glückseligkeit im Jenseits, treten (vgl. Schmid 2003, S. 18).

Aus der Erziehung sollte der Fortschritt der Menschheit hervorgehen. Es war ein Wandel in der pädagogischen Lehre zu beobachten, in welcher die gnadenbedürftige Schuldverstrickung des Katechismus der Freiheit des Menschen weichen musste. Dies zeigte sich auch in der neuen Auffassung vom Landpfarrer, welcher zu jener Zeit erzieherische Aufgaben übernahm. Dieser wurde nun oftmals als hilfsbereiter und praktischer Mensch verstanden, der, anstelle eines weltfremden Gelehrten, als Volksaufklärer auftreten sollte (vgl. Fertig 1977, S. 70f.).

Die Forderung nach Praxisnähe in der Erziehung wurde immer lauter, welche die religiöse Dominanz im Unterricht ablösen sollte. Das Erbsünde-Dogma, festgehalten und gelehrt durch den Katechismus, wurde von der aufklärerischen Pädagogik kategorisch abgelehnt. Die Erziehung sollte nun Mittel werden sich von kirchlichen Mythen und unhinterfragbaren Dogmen zu emanzipieren. Die vernunftgeleitete, sich an der Natur des Menschen orientierende, Weiterentwicklung des Menschen durch Erziehung wurde zum göttlichen Willen erklärt (vgl. ebd., S. 70-79).

An den Platz der Erbsünde sollte nun ein positives und optimistisches Menschenbild treten. Der Mensch war nicht mehr, wie im Katechismus gelehrt, von Natur aus böse, sondern gut. Das Böse des Menschen war, im aufklärerischen Verständnis, nicht mehr auf die Erbsünde zurückzuführen, sondern sei Ergebnis einer schlechten Erziehung. Nur durch Erziehung könne der Mensch gut werden respektive verhindert werden, dass er überhaupt erst böse wird (vgl. Schmid 2003, S. 18).

Mit diesem neuen Menschenbild ging auch ein neues Familienverständnis einher. Die Familie entwickelte sich zur Zeit der Aufklärung aus einer Zweckgemeinschaft, in welcher man zusammen lebte und wirtschaftete, zu einer emotionalen Gemeinschaft. Dazu trug auch die, auf sozioökonomische Veränderungen zurückzuführende, Auseinanderentwicklung des Erwerbs- und Familienlebens bei. Das aufklärerische Familienleben erkennt die Kindheit als eigenen Lebensabschnitt an und setzt mit dieser Erkenntnis Vertrauen, Zuneigung und Liebe an die Stelle des gemeinsamen Arbeitsverhältnisses. Der entdeckte Lebensabschnitt brachte auch entsprechende Entwicklungsaufgaben mit sich, denen man nun entsprechend mit der neu verstandenen aufklärerischen Erziehung begegnen wollte (vgl. ebd., S. 16).

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Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Arbeit zitieren Jan Dissemond (Autor:in), 2019, Zur Legitimation von Disziplinierung in der Erziehung. Das Verhältnis von Freiheit und Zwang bei Immanuel Kant, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1176510

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