Neben den bereits angesprochenen Friedens- und Ausbildungsmissionen sind die internationale Gemeinschaft im Allgemeinen und die UN im Besonderen seit langem in Afghanistan aktiv. Bereits 1988 wurde unter dem Dach der UN das sogenannte Genfer Abkommen zwischen Afghanistan und Pakistan unter Einbeziehung der Großmächte USA und Sowjetunion ausgehandelt, um den Sowjetisch-afghanischen Krieg zu beenden. Mit der Resolution 1368 lieferte der UN-Sicherheitsrat im Jahr 2001 die völkerrechtliche Legitimierung für die Maßnahmen der von den USA geführten Militärkoalition. Auch die anschließenden NATO-Missionen wurden vom UN-Sicherheitsrat mandatiert. Show Im Bereich der Terrorismusbekämpfung entstand unter dem Dach der UN ein umfassendes Regime, das sich mit den Taliban, aber auch mit dem Phänomen des internationalen Terrorismus als Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit befasst. Dabei haben die UN wichtige Impulse im Bereich der Norm- und Regelsetzung gesetzt. Zu nennen sind hier u.a. der bereits 1999 etablierte al-Qaida-Sanktionsausschuss, der für Individualsanktionen gegen verdächtige Terroristen zuständig ist. 2001 folgte die Einrichtung eines Ausschusses zur Bekämpfung des Terrorismus, der die Umsetzung der Bestimmungen der Sicherheitsratsresolution 1373 überwacht. Diese Resolution thematisiert die Kriminalisierung der Terrorismusfinanzierung und der Unterstützung von terroristischen Gruppen, das Einfrieren von Vermögen, die Unterbindung von Rückzugsräumen für Terroristen und zwischenstaatliche Kooperation bei der Verfolgung von Terroristen. 2005 wurde der Arbeitsstab Terrorismusbekämpfung, dem ca. 30 UN-Einrichtungen angehören, eingeführt. Dieser überwacht die Umsetzung der weltweiten Strategie der Vereinten Nationen zur Bekämpfung des Terrorismus und ging 2017 im Büro der Vereinten Nationen für Terrorismusbekämpfung auf. Der politische Übergangsprozess, der die Entwicklung geordneter und demokratischer Verhältnisse zum Ziel hatte, wurde ebenfalls im Rahmen der UN mittels einer Reihe von internationalen Konferenzen organisiert. Den Ausgangspunkt hierfür bildete das am 5. Dezember 2001 geschlossene Petersberger Abkommen, das den sogenannten Bonn-Prozess einläutete. Das Abkommen basierte auf dem Fünf-Punkte Plan Lakhdar Brahimis, des damaligen UN-Sondergesandten für Afghanistan und beinhaltete die Einrichtung einer Interimsverwaltung, die vorübergehende Stationierung einer internationalen Truppe unter UN-Mandat, die Durchführung einer großen Versammlung („Loya Dschirga“) sowie die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und demokratische Wahlen. An der Konferenz nahm ein breites Spektrum an afghanischen Repräsentanten, jedoch nicht die Taliban, teil. Das Ende dieses Prozesses markierten die Parlaments- und Provinzratswahlen im Jahr 2005, aus denen das erste frei gewählte afghanische Parlament seit 1973 hervorging. Seitdem finden regelmäßig weitere Konferenzen statt, die den weiteren Wiederaufbau Afghanistans, aber auch direkte Friedensgespräche zum Gegenstand haben. Seit 2018 finden dabei erstmalig direkte Gespräche zwischen den Taliban und den USA statt. Weiterhin unterhalten die UN seit 2002 mit der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) eine politische Mission im Land. Sie umfasst ca. 1.200 überwiegend afghanische Mitarbeiter, die in Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung, den Friedens- und Versöhnungsprozess unterstützt, die Menschenrechtslage sowie den Schutz der Zivilbevölkerung überwacht und gute Regierungsführung sowie regionale Zusammenarbeit fördert. Zudem koordiniert die UNAMA die Bemühungen anderer UN-Organisationen sowie nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen im Land. Der Abzug der NATO-Truppen und seine FolgenTrotz dieser vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen blieb die humanitäre Situation und Menschenrechtslage in Afghanistan desaströs. Grundlage hierfür war besonders die schlechte Sicherheitslage. Zwar gab es einige relativ stabile Regionen, doch gleichzeitig wurde vielerorts gekämpft. In den von den Taliban oder dem Islamischen Staat kontrollierten Gebieten können humanitäre Organisationen darüber hinaus nicht tätig werden. Viele Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, konnten und können daher nicht versorgt werden. Die Zahl der kampfbedingten zivilen und nicht-zivilen Todesfälle blieb auf einem sehr hohen Niveau. Frauen sahen sich vielfach mit Zwangsehen und häuslicher Gewalt konfrontiert, in Gefängnissen wurde gefoltert und die Presse- und Religionsfreiheit wurden nur eingeschränkt umgesetzt. Die Langlebigkeit des Konflikts verdeutlicht, dass ohne eine umfassende politische Lösung kein Frieden geschaffen werden kann. Der militärische Sieg über die Taliban im Jahr 2001 sorgte lediglich für eine kurze Ruhephase. Politisch konnte jedoch keine langfristig tragfähige Lösung gefunden werden. Im Lauf der Zeit hat die internationale Aufmerksamkeit trotz der gravierenden Umstände stark nachgelassen und die Sinnhaftigkeit des Engagements wurde wiederholt in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund planten wichtige Akteure wie die USA, die der mit Abstand größte Truppensteller der NATO-Mission waren, ihre Truppen mittelfristig aus Afghanistan zurückzuziehen. Auch in den Gesprächen zwischen den USA und den Taliban wurde der Abzug der westlichen Truppen thematisiert. Sie mündeten im Februar 2020 in einem Abkommen, dass den Abzug der amerikanischen Truppen ab Mai 2021 beinhaltet. Im Gegenzug versicherten die Taliban, dass von Afghanistan keine Terrorgefahr mehr ausgehe. Nach mehreren Verhandlungsrunden innerhalb der NATO einigten sich schließlich alle beteiligten Staaten auf einen vollständigen Abzug ihrer Truppen, welcher planmäßig ab Mai 2021 umgesetzt wurde und bis September andauern soll. Parallel zum Abzug der NATO-Truppen, eroberten die Taliban Afghanistan Region um Region zurück. Bis Mitte August 2021 hatten sie bereits alle Provinzhauptstädte sowie Kabul, die Hauptstadt, eingenommen. Das afghanische Militär, das vom eiligen Abzug der NATO-Truppen demoralisiert war, leistete wenig bis keinen Widerstand. Viele Militärangehörige flohen nach Usbekistan und Tadschikistan. Der schnelle Vormarsch der Taliban wurde auch durch mangelnde politische Unterstützung, nicht länger verfügbare Leistungen von amerikanischen Vertragsfirmen und Ausbildungsmängeln der afghanischen Streitkräfte ermöglicht. Vor dem Hintergrund des schnellen Vorrückens der Taliban – westliche Geheimdienste gingen von einer Übergangsphase von sechs bis neun Monaten aus – verließ der amtierende Präsident Ghani das Land und bekannte sich zur Niederlage der afghanischen Regierung gegenüber den Taliban. Damit wollte er einen friedlichen Machtwechsel ermöglichen. Dieser Schritt wurde von den Taliban begrüßt, die wiederum bekanntgaben, keine Rache üben zu wollen. In der Bevölkerung verbreitete sich mit Blick auf die aktuellen Ereignisse, erste Meldungen über Racheakte der Taliban sowie deren vergangene und sich erneut anbahnende Herrschaft Panik. Zahlreiche Menschen versuchten zu fliehen. Besonders am Flughafen von Kabul ereigneten sich dabei dramatische Szenen und einige Menschen kamen ums Leben. Trotz der sich drastisch verändernden Lage haben viele der ansässigen internationalen Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen inklusive aller involvierten UN-Organisationen bekannt gegeben, sich weiterhin in Afghanistan engagieren zu wollen. Wie genau dies unter den Taliban geschehen kann, wird sich jedoch erst noch zeigen müssen, da das Vertrauen in die Taliban gering ist. Auch UN-Generalsekretär António Guterres verfolgt die Entwicklungen mit großer Sorge und hat alle Parteien zur Achtung der Menschenrechte und zur Gewährleistung humanitärer Hilfe aufgefordert. Steve Biedermann
Afghanistan ist flächenmäßig doppelt so groß wie Deutschland, jedoch leben dort nur geschätzt 35 Millionen Menschen. Drei Viertel der Bevölkerung leben auf dem Land, nur 25 Prozent in den Städten. Großstädte gibt es nur wenige: Die Hauptstadt Kabul hat über vier Millionen Einwohner, Herat, Kandahar, Mazar-e-Scharif, Dschalalabad und Kunduz mehr als 100.000. Etwa drei Viertel des Landes bestehen aus teilweise sehr schwer zugänglichen Gebirgen. Die Klimazonen entsprechen denen vom kalten Skandinavien bis zur sengenden Hitze der Sahara. Es gibt ständig Wassermangel und gleichzeitig Überschwemmungen. Afghanistan ist ein Vielvölkerstaat mit vier dominierenden Stämmen. Die Paschtunen (übersetzt die "Afghanen", also Namensgeber des Landes) sind mit 42 Prozent die größte Ethnie. Sie leben im Süden, Westen und Osten. Im Norden leben die Tadschiken (rund 27 Prozent), die Turkvölker der Usbeken (neun Prozent) und die Turkmenen, im Zentrum Afghanistans haben sich die schiitischen Hazara niedergelassen (neun Prozent). Magnet für InvasorenAfghanistan ist eingeschlossen von sechs Ländern und ohne Zugang zum Meer, doch gerade seine geografische Lage macht die Region strategisch interessant. Von hier aus lässt sich der fragile und nuklear bewaffnete Nachbar Pakistan mit seinen extremistischen Gruppen beobachten. Im Westen befindet sich der ölreiche Mullah-Staat Iran, der dabei ist, zur Nuklearmacht aufzusteigen. Im Osten der ebenfalls atomar gerüstete Wirtschaftsriese China. Nördlich schließen sich die zentralasiatischen Republiken mit ihren gigantischen Gas- und Ölvorkommen an, welche durch Afghanistan zum Indischen Ozean und zum Arabischen Meer geleitet werden könnten. Ohne Afghanistan kann man ganz wenig in diesem Raum machen – mit dem Land könnte man eine Menge erreichen. Ein alter asiatischer Spruch lautet: "Wenn Gott eine Nation bestrafen will, dann lässt er sie in Afghanistan einmarschieren." Und tatsächlich: Afghanistan erlebte im Laufe seiner Geschichte immer wieder Invasionen. 1838 stritten sich bereits die russischen und britischen Kolonialmächte um das strategisch wichtige Land, über das man einen Zugang zum Indischen Ozean – eine wichtige Handelsroute – erreichen wollte. Es folgten drei blutige Anglo-Afghanische Kriege, die mit einer Niederlage für die Briten und 1919 mit der Unabhängigkeit für Afghanistan endeten. Seit dem ersten britisch-afghanischen Krieg heißt die Gegend "Graveyard of the Empires" – Friedhof der Großmächte. Seine geographische Lage macht das Land strategisch interessant | Bildquelle: picture-allianceScheitern der Sowjetunion und die FolgenAuch die Sowjetunion bekam das zu spüren. Sie unterstützten Ende 1979 die afghanischen Kommunisten, die sich eher schlecht als recht seit 1978 an der Macht hielten. Durch die Entsendung sowjetischer Truppen nach Afghanistan internationalisierte sich die Auseinandersetzung. Sie wurde zu einem Krieg zwischen den Sowjets und ihren afghanischen Verbündeten auf der einen Seite und Mudschaheddin-Gruppen – die von den USA militärisch und finanziell unterstützt wurden – auf der anderen Seite. Die sowjetischen Truppen, die bis zu 100.000 Mann stark waren, scheiterten nach zehn Jahren in Afghanistan. 1989 zogen die letzten sowjetischen Soldaten ab. Ende 1979 kam die Sowjetunion den afghanischen Kommunisten zu Hilfe | Bildquelle: akg/AP/Liu Heung ShingDoch am Hindukusch wollte kein Frieden einkehren. Im April 1992 beseitigten die Mudschaheddin mit dem Sturz der kommunistischen Regierung unter Präsident Nadschibullah auch den letzten sowjetischen Einfluss. Auch die Amerikaner ließen ihre Geheimdienst-Aktivitäten ruhen, und die Gelder für Afghanistan wurden gestoppt. Der Rückzug der Sowjetunion und auch das Ende des amerikanischen Engagements hinterließen ein Machtvakuum. Nach Nadschibullahs Sturz geriet der Machtkampf zwischen den nunmehr zerstrittenen Mudschaheddin-Gruppen des ehemaligen afghanischen Widerstandes außer Kontrolle. Viele Gebiete des Landes verfielen in Anarchie und gelangten unter die Kontrolle sogenannter Warlords. Plünderungen, Vergewaltigungen und andere Gewalttaten waren an der Tagesordnung. Was folgte, waren jahrelange ethnische Konflikte unter den verschiedenen Mudschaheddin. Es herrschten grauenhafte Zustände, kaum einer traute sich noch aus dem Haus – jahrelang. Herrschaft der TalibanIn dieser Zeit gründeten sich die radikalislamischen Taliban unter Mullah Omar im Süden des Landes, in der Nähe Kandahars. Ihre Gründung wurde von Pakistan und den USA finanziell und materiell unterstützt. Unter strenger Auslegung der Scharia sorgten sie für Ordnung, wo es schon lange keine mehr gab. Sie nahmen auch Jihadisten aus aller Welt in Afghanistan auf. Zunächst wurden die Taliban vom Großteil der Bevölkerung Afghanistans willkommen geheißen. Schnell marschierten sie voran und nahmen bereits 1996 die Hauptstadt Kabul ein. Aber mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan begann für die Bevölkerung ein Schreckensregime, das sie nahezu ins Mittelalter zurückwarf. Das Land geriet international ins Abseits, Handel und Wirtschaft kamen zum Erliegen, und die Bevölkerung litt unter Hunger und Krankheit. Zusätzlich hatten der international gesuchte Top-Terrorist Osama Bin Laden und seine Terrororganisation Al Qaida Unterschlupf in Afghanistan gefunden. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center am 11. September 2001 wurde das Land aufgefordert, Osama Bin Laden auszuliefern. Dem verweigerte sich die Taliban-Regierung jedoch, und so wurde Afghanistan erneut zum Kriegsschauplatz. Afghanistan weigerte sich, Osama Bin Laden auszuliefern | Bildquelle: dpaDie USA erklärten Al Qaida und den Taliban den Krieg und schickte seine Armee nach Afghanistan. Den US-Soldaten folgte kurze Zeit später auch die NATO, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen und Afghanistan von der Herrschaft der Taliban zu befreien. Im Dezember 2014 endete die NATO-Kampfmission in Afghanistan. Anfang 2015 löste außerdem die NATO-Trainingsmission Resolute Support Mission (RSM) die Vorgängermission ISAF (Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe) ab – an RSM ist auch Deutschland beteiligt. Doch nach dem Abzug der Truppen und der Bildung einer Regierung der nationalen Einheit sorgten die Taliban in vielen Provinzen mit Gewalt dafür, dass Afghanistan instabil blieb. Vor allem junge Menschen und solche mit Schulbildung sahen keine Zukunft in ihrer Heimat und flüchteten ins Ausland. Machtübernahme der Taliban 2021Ende 2020 kündigte der damalige US-Präsident Donald Trump an, sämtliche US-Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen. Der Abzug der US-Armee sowie der internationalen Truppen, darunter auch Deutschland, begann im Mai 2021. Zur gleichen Zeit rückten die radikalislamischen Taliban wieder vor; beim afghanischen Militär stießen sie kaum auf Widerstand. Mitte August übernahmen die Taliban erneut die Macht im Land. Die NATO-Staaten wurden von der Entwicklung und vor allem der Schnelligkeit völlig überrumpelt. Zum Zeitpunkt der Machtübernahme waren noch viele Botschaftsangehörige, Mitarbeiter von Presse und Hilfsorganisationen sowie die afghanischen Ortskräfte im Land. Es begann eine dramatische internationale Evakuierungsaktion, bei der etliche Menschen starben. Stand: 18.08.2021, 13:42 Uhr |