Juden oder läuse vergasen wo ist der unterschied

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Juden oder läuse vergasen wo ist der unterschied


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Die Verwendung des visuellen antijüdischen Stereotyps in der Öffentlichkeit wird noch heute mit der berüchtigten „Stürmerfratze“ in Verbindung gebracht. Meistens schreibt man diese Art der diskriminierenden Darstellung von Juden der nationalsozialistischen Propaganda zu, vergißt dabei aber die lange Tradition jener Bilder. Um den Fundus unseres bildlichen Gedächtnisses, um die Herkunft unserer „Bilder im Kopf“, wie der Journalist Walter Lippmann Vorurteile bezeichnete, und die Frage, warum wir bestimmte Attribute mit dem Juden identifizieren, soll es in diesem Aufsatz gehen.

Die erstmalige Verbreitung antijudaistischer Flugblätter fand zu Zeiten der Reformation in Europa statt, als man die Juden mit dem Antichrist identifizierte. Besonders populär war das Motiv der sogenannten „Judensau“, das Juden zeigte, die an den Zitzen einer Sau oder auch an deren After hingen. Erkennbar sind die Juden als Juden auf diesen Darstellungen durch den konischen „Judenhut“ oder manchmal auch den gelben Fleck, den die städtischen Juden im Mittelalter und früher Neuzeit zur Kennzeichnung tragen mußten. Daß die Juden in Kombination mit einer Sau abgebildet wurden, war besonders lästerlich, da gläubige Juden unbedingt koscher leben und dementsprechend Schweinefleisch meiden. Gleichzeitig unterstellen die „Judensau“-Darstellungen eine Nähe zwischen Juden und Tieren, was im übertragenen Sinne auf Instinkthaftigkeit oder gar Perversität hinweist, da Moral den christlichen Menschen vorbehalten sei. Im 19. Jahrhundert kam es durch die politische Emanzipation, d.h. die formelle Gleichberechtigung der Juden als Staatsbürger, in vielen v.a. westeuropäischen Ländern zu einer sich intensivierenden Akkulturation und schließlich auch Assimilation, die sich zum Beispiel auch äußerlich ausdrückte. Während viele Juden aus Osteuropa noch ihre Tracht aus Kaftan, Pelzhüten (ähnlich wie etwa der polnische Adel) oder Kippa, Gebetsschal (Tallith) und Schläfenlocken (Peies) trugen und so ihre Zugehörigkeit zum Judentum unterstrichen, kleideten die sogenannten „Westjuden“ sich à la mode, d.h. mit Anzug, Gamaschen, Gehrock, Weste, Zylinder etc. wie es dem Bild des säkularisierten Bürgers entsprach.

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Abb.1: „Sie wollen ä Jud san? Ä Antisemit san se!“, um 1910, Verlag des Kikeriki, BA Marburg B 22.867/74

Letzterer begegnet uns in den Karikaturen oft als Parvenü und dekadenter Aufsteiger, der sich so vom etablierten, d.h. nichtjüdischen, gehobenem Bürgertum abhebe. Des weiteren sprachen die aus Galizien, der Bukowina und Rußland stammenden Juden häufig Jiddisch, also eine Mischung aus hebräisch mit der jeweiligen Landessprache und regionalen Dialekten, wohingegen die westeuropäischen Juden die Sprachen der Mehrheitsgesellschaft, deutsch (bereits seit Moses Mendelssohn und der jüdischen Aufklärung Haskala), französich, englisch usw. sprachen und hebräisch nur noch als Gebetssprache kannten. Die visuelle Diskrepanz zwischen Ost- und Westjuden ist durch zahlreiche Postkarten, insbesondere seit dem Wilhelminischen Kaiserreich, aber auch durch Bilderbogen, die als Wandzimmerschmuck vertrieben wurden, aus den Druckereien Glöß bei Dresden, München oder der Firmen Gustav Kühn und Oehmigke&Riemschneider aus Neuruppin bei Berlin sowie etlichen Satirezeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum dokumentiert. Der „Ostjude“ wurde zum antijüdisch motivierten Prototyp „des Jüdischen“ in den Bildern, zum einen, weil sich an ihm die Rückwärtsgewandtheit eines inzestuös organisierten, eventuell sozialistisch unterwanderten Judentums – verbunden mit dem Bolschewismusvorwurf, zum anderen Armutskrankheiten wie Tuberkulose und mangelnde Hygiene demonstrieren ließen. Die Bilder und Karikaturen interessieren sich daher nicht für innerjüdische Tendenzen und Diskussionen, wie etwa den Chassidismus oder die Literatur aus dem Schtetl etwa von Šalom Alejchem, sondern sie benutzen die äußere Erscheinung quasi als Verpackung, um ihre message zu transportieren. Ebenfalls in den Hintergrund gerückt ist der Grund für die Emigration der osteuropäischen Juden v.a. ins Deutsche Reich und Habsburgerreich, nämlich die restriktive zaristische Gesetzgebung, die Juden im öffentlichen Leben als auch in ihrer privaten Bewegungsfreiheit massiv einschränkte, sowie nach der Ermordung des Zaren (1881) einsetzende Pogrome, die eine Massenflucht in Gang setzten. Trotz ihrer großen Armut, waren etwa die Chassidim durch die Synagogenschulen (Jeschiwas) durchweg alphabetisiert und dementsprechend v.a. in Talmudexegese sehr gebildet, wobei sie sich mit wenig Materiellem zu helfen wußten, was den „Ostjuden“ das Prädikat „Luftmenschentum“ eintrug.

Ab der Jahrhundertwende treten vermehrt Bilder auf, die den angeblich mißgestalteten Körper des Juden thematisieren. O-Beine und Plattfüße sind daher nicht nur ein künstlerisch-humoristisches Stilmittel, sondern ein Hinweis auf die vermeintliche Wehruntauglichkeit der Juden, was eine nicht zu unterschätzende Rolle im sich stetig militarisierenden Kaiserreich spielt. Männlichkeit und Wehrtauglichkeit fungierten als Grundpfeiler eines Nationalismus, dessen Feindbilder u.a. in der Verweiblichung und künstlerischen Strömungen wie dem Expressionismus bestanden. In Untersuchungen zu angeblich typisch „jüdischen Krankheiten“ begegnet man – auch von jüdischer Seite – der Nervosität (auch Neurasthenie), Diabetes und manisch depressiven bzw. schizophrenen Neigungen. Weniger ist hierbei allerdings die „Rasse der Juden“ dafür verantwortlich zu machen, als vielmehr der sozio-politische Kontext von rechtlicher Beschränkung und Verfolgungsdruck. Neben dem von nationalkonservativer Seite oft geäußerten Vorwurf des Internationalismus und mangelnden Patriotismus trat nach dem Ersten Weltkrieg die Unterstellung, die Juden hätten sich am Kriege bereichert und zeichneten sich demnach durch Defätismus und Feigheit im Felde aus. Untermauert wurden diese Spekulationen durch eine Untersuchung, die der preußische Kriegsminister Wild von Hohenborn 1916 durchführen ließ über die Beteiligung der Juden am Kriege. Die Ergebnisse dieser Studie hielt man aber geheim, so daß sich jüdische Interessenorganisationen wie zum Beispiel der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten oder der Central Verein (CV) gezwungen sahen, jener Negativpropaganda entgegenzuwirken, indem sie die tatsächlichen Zahlen über gefallene jüdische Frontsoldaten und Orden veröffentlichten. Frühe Zionisten wie Max Nordau, der an der Seite Theodor Herzls an der Spitze der Zionistischen Vereinigung stand, polemisierte gegen die „bleichen Massen aus dem Osten“ und die sogenannten „Kaffeehausjuden“ und plädierte für ein neues „Muskeljudentum“, das durch Turnsport und Wehrertüchtigung „mannhaft“ und natürlich auch wehrhaft werden sollte.

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Abb.2: „Der kleine Cohn mit der Nas unterm Maas“, um 1900, Frankfurt, BA Marburg B 21.520/9

Das Bild, das bis heute vom Juden in unserer Vorstellung existiert, ist davon geprägt, die äußerlichen Zeichen, wie die Hakennase, die wulstigen Lippen, die engliegenden Augen, die gekrümmte Haltung und die Plattfüße als authentische Hinweise auf innere Werte zu begreifen, meist ohne in Frage zu stellen, ob es das typisch „jüdische Gesicht“ überhaupt gibt. Daher soll im folgenden gezeigt werden, wie es zu den oben genannten Zuschreibungen kam. Des weiteren dient die Kopplung der wertenden Eigenschaften mit dem Begriff des Normativen (in bezug auf Schönheit, Gesundheit, Moral) dazu, Kriterien für die daraus resultierende Vorurteilsgestaltung abzuleiten. Eine Abweichung vom klassischen Winckelmannschen Schönheitsideal, das das ebenso konstruierte „klassische“ griechische Gesicht zur Vorlage hatte, konnte somit bedeutende, das heißt negative, Folgen für die Wahrnehmung und letztlich die Behandlung von Juden beinhalten. Die Meinung, die Juden seien als solche durch ihre abweichende (Gesichts-) Schädelform identifizierbar war (und ist) nicht nur in wissenschaftlichen Kreisen weit verbreitet.

Die „jüdische“ Nase

Auf Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) etwa ist die Annahme einer besonderen Ausprägung des Nasenknochens bei Juden zurückzuführen. Ihm ist die Einführung der Kraniologie als metrischem Verfahren zur Feststellung von Schädelgröße bzw. -formen zuzuschreiben, wonach man in Lang- und Kurzköpfe (dolicho- und brachycephale) unterschied. Er schuf in seinem 1790 in Göttingen erschienen Hauptwerk Decas quarta collectionis suae craniorum diversarum gentium illustrata die in der Anthropologie lang tradierte Einteilung der Menschheit in fünf Rassen. Die Erfindung der jüdischen Rasse, neben der kaukasischen (Weißeuropäer und Semiten), Mongolen (Gelbe) und Äthiopier (Schwarze) geht auf ihn zurück. Dieser Trend seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts zur Hierarchisierung der einzelnen Rassen anhand ihrer Schädelform oder ihres Gesichtswinkels läßt sich auch an den Karikaturen, ob auf Postkarten oder in Humoristischen Zeitschriften abgedruckt, feststellen. Erst 1913 wiederlegte der amerikanische Anthropologe Maurice Fishberg diese Annahme, indem er statistische Daten vorwies, aus denen hervorging, daß die Hakennase keineswegs typisch für Juden sei, ebenso wenig wie krause oder dunkle Haare, was schon Rudolf Virchow 1886 in seiner großangelegten Studie unter den Schulkindern des deutschen Reiches herausfand. Dennoch wird die Nähe des Juden zum Schwarzen (bzw. „Neger“ wie es in der zeitgenössischen Literatur heißt) aufgrund seiner Schädelform, seiner ausgeprägten Sexualität, wobei viele Autoren bis heute auf Tacitus Rede von den Juden als „proiectissima ad libidinem gens“ zurückgreifen und seiner anthropologischen Entwicklungsstufe, die ihn in Verbindung mit den Primaten setzt, oft betont. Die Hautfarbe ist also keine neutrale „Leinwand“, sondern weist durch gelbliche Verfärbungen oder Pocken auf Krankheiten wie die Syphilis oder schlicht Skorbut hin; je dunkler und unreiner sie ist, desto pathologischer ihre Wirkungskraft. Eine reine weiße Hautfarbe avanciert somit zum sauberen, d.h. auch gesunden, Ideal. Die übertrieben fleischige und herabhängende Hakennase, die das Gesicht des Juden in den Bildern meist dominiert, ist allegorisch aufzufassen und wird innerhalb der Populärkultur synonym mit Drahtzieherei, Narrentum (und damit auch List bzw. Maskenhaftigkeit) und Instinkt aufgefaßt. Dieses bildmotivische Konstrukt war von vornherein negativ besetzt, da es an mittelalterliche Teufelsdarstellungen erinnerte.

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Abb.3: „Sieht man Dich seitwärts, vorne, hinten,/So kann man gar nicht and’res finden/Als das, was nicht zum leugnen ist./Dass Du – ein richt’ger Jude bist“, nach 1905, BA Marburg B 21.542/35

Vor allem in Tierallegorien, läßt sich die „jüdische Nase“ als Identifikationsmerkmal feststellen, die auf Tiere und Menschen gleichermaßen – im Rahmen einer Gattung – angewendet wird. Mittels einer Übertreibung von kurzer gewölbter Stirn, großer fleischiger Hakennase und wulstiger Unterlippe wird den Tieren ein „jüdisches“ Aussehen verliehen. Der Betrachter bleibt unsicher, inwiefern er es mit einem Tier oder vielmehr einem Mischwesen zu tun hat. Diese physiognomischen Züge sind es auch, die den komischen Charakter in die Bilder hereintragen. Lebensweltliche Bezüge werden durch die identischen Tier- und jüdischen Nachnamen gestiftet wie z. B. Löw, Bär, Hirsch usw., die die Namensträger – wenn auch zum Teil in humoristischer Weise – brüskieren. Abgesehen von der Namenspolemik sind negative Tierallegorien sehr häufig, wie etwa Raben, Ratten, Insekten (Läuse, Fliegen, Drohnen) und Fledermäuse, die ihre Wirkungskraft volkstümlichen (christlichen) Legenden, die diese Tiere als Boten des Unheils interpretierten, verdanken. Gerade in den Zwanzigern als Sozial- und Rassenhygiene ihren Aufschwung als Wissenschaften zur Krankheitsprävention der Bevölkerung sowie der staatlichen medizinischen Kontrolle (Impfung, Quarantäne etc.) erlebten, erhielten Ungeziefer-Metaphern, die oft den eingewanderten „Ostjuden“ zugeschrieben wurden besondere Relevanz. Das antiseptische Vergasen von bakteriell infizierten Räumen mit Formaldehyd oder die Aussonderung von „Ostjuden“ in bereits als solchen benannten „Konzentrationslagern“ in Bayern fand schon in den 1920er Jahren statt.

O-/X-Beine und Plattfüße

Die Deformation der Beine ist nicht nur ein Indiz für die Unfähigkeit zum militärischen Marschieren, sondern sie verweist auf eine auslösende Krankheit, die Rachitis. Rachitis galt als eine typische „Städterkrankheit“, die durch Mangelernährung, schlecht gelüftete, feuchte und dunkle Hinterhofwohnungen bedingt war. Im Zusammenhang mit den antisemitischen, also auf einer rassistischen Ebene argumentierenden, Bildern könnten diese Zuschreibungen auch auf die Herkunft aus dem Ghetto hinweisen. Die Symptome sind u. a. Skelettverformungen, pastöser habitus, Anfälligkeit, schreckhafte Unruhe, ammoniakalischer Windelgeruch, Froschbauch, Hühnerbrust, X- oder O-Beine, Zwergwuchs, „Quadratschädel“ und mangelnder Muskeltonus. Bis in nationalsozialistische Biologiebücher (Thieme Leitfaden Biologie von Kraepelin/Schäffer) setzte sich die Darstellung der Degenerierten, d.h. genetisch mangelhaften, in Form von O-Beinen, einer schiefen Körperhaltung und Henkelohren fort, die mit der geradegewachsenen, aufrechten und proportionierten „arischen“ Rasse konfrontiert werden. Die Plattfüße sind durch zwei Konnotationen umrahmt: zum einen die Wanderschaft des „Ewigen Juden“, der zur Heimatlosigkeit verdammt ist und rastlos in der Welt umherirrt, zum anderen die kriminologische Interpretation beispielsweise des italienischen Anthropologen Cesare Lombroso. Dieser verknüpfte verschiedene Verbrechertypen mit den diversen Gangarten, womit er eine ideelle Brücke schlug zu der nachgesagten Geheimsprache der Juden, dem Rotwelsch, das als Gaunersprache mit codierten Handzeichen galt. Die Verwendung des Jiddischen wurde zum Merkmal des fremden Klangs und in Form des Mauschelns, oder Rotwelsch, der Gauner- bzw. Fremdensprache den Juden zugeschrieben, kriminalisiert. Eine verbrecherische Gesinnung wurde nicht zuletzt an einem entsprechenden Phänotyp festgemacht. Es gab sogar Wörterbücher über das Mauscheln, das in dieser Form als reines Kauderwelsch, das an sich unverständlich sei, präsentiert wurde und für das man die „jüdische Kopfform“ mit ausgeprägter Prognatie (Schnauzenförmigkeit) und überstehender Unterlippe sowie herabhängender Nasenspitze verantwortlich machte. Nachzulesen ist dieses Vorurteil der Unfähigkeit des Juden zur Artikulation beispielsweise in Richard Wagners Schrift Das Judentum in der Musik (1851), in der es u.a. um die angebliche Entstellung des Musikdramas durch die „jüdische“ Sprechweise geht in der überspitzten Figur des „mauschelnden“ Siegfried.

Wilde Gestik

Die Hände stellen in vielen Bildern ein zentrales Kommunikationsmittel dar, was unter der Bezeichnung „reden mit die Händ’“ kursiert. John Efron hat in den 1940ern versucht, bestimmte Hand- und Armbewegungen von jüdischen und italienischen Immigranten in New York zu vergleichen und auf bestimmte Codes hin zu untersuchen. Dabei stellte er fest, daß das gesellschaftliche Milieu viel entscheidender für die Herausbildung einer bestimmten Gestik ist als die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit. Sehr verbreitet ist in den Karikaturen Anfang des 20. Jahrhunderts die angebliche Geschäftigkeit resp. Ruhelosigkeit der Juden, was auf ihre aktive Rolle in den nationalen Wirtschaftssystemen reflektiert. Der Nationalökonom Max Weber sprach in seinem Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft vom „Pariarecht“ unter Juden, die ihresgleichen bevorteilten und natürlich im Gegenzug die christlichen Konkurrenten benachteiligten. Die wilde Gestik deutet also nicht nur den Austausch von Information an, sondern auch die Vernetzung der Warenwelt, den Handel. Über die angebliche Begabung des Juden zum Handeln und damit verbunden seine Affinität zum Kapitalismus verfaßte etwa der Nationalökonom Werner Sombart ein umfangreiches Buch mit dem Titel Die Juden und das Wirtschaftsleben (1911). Andererseits tauchen die Juden in den Bildern oft auch als Bolschewisten oder Kommunisten auf, was zunächst widersprüchlich erscheint. Dahinter verbirgt sich aber die Annahme der Antisemiten, daß die Juden hochgradig anpassungsfähig, also opportunistisch seien, was sie zu schlechten Patrioten aufgrund ihrer internationalen Vernetzung – ob kapitalistisch oder kommunistisch – mache. Auf diese Weise sind die verschiedenen Äußerlichkeiten der Juden in den Bildern, die sie als Parvenüs, Trödler oder Fabrikanten markieren als Verkleidungen zu interpretieren, da die Zeichner der Bilder von einem einheitlichen „jüdischen Wesen“ ausgehen, das sie immer wieder an einer degenerierten und abnormen Körperlichkeit, die beim Betrachter Ekel, Furcht oder bitteres Lachen hervorrufen soll, festmachen. Carl Schmitt macht eben diese Annahme in seiner Schrift Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols (1938), indem er den Geist der „Entzweiung“, womit er die Dialektik meint, „Maurerlogen, Konventikeln und Juden“ zuschreibt, die durch den Liberalismus das Staatswesen ausgehöhlt hätten. Der in den visuellen Bildern dargestellte krankhafte Körper symbolisiert zugleich einen kranken Geist, der zwar den Juden in den antijüdischen Bildern zugeschrieben wird, aber für den nervösen Zeitgeist um die Jahrhundertwende und die radikalisierte Stimmung der deutschen Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg, insbesondere danach zur Weltwirtschaftskrise 1929, steht.

Daß das Bild vom Juden bis heute Macht besitzt, was daran nachgewiesen werden kann, daß fast jede/r eine Vorstellung vom Aussehen eines Juden hat, ist im wesentlichen auf zwei Ursachen zurückzuführen: erstens die Rezeption der Bilder als realistische Abbilder, denen folglich ein beschreibender, portraithafter Charakter untergeschoben wird und zweitens die Funktion des antijüdischen Bildes als Medium einer Gesellschaftskritik, das sich so als politisch-propagandistisches Kampfmittel verorten läßt. Analysiert man die verschiedenen „Judenbilder“ (vom 19. Jahrhundert bis in die 1940er), so fällt auf, daß die Markierung von Differenz oder Fremdheit zunächst über die Kleidung, ab 1900 vor allem über den Körper transportiert wird. Dabei haben wir es mit einer Kombination von Vorurteilen sprachlicher, intellektueller und physischer (d.h. auch sexueller) Art zu tun, die im scheinbar „realistischen“ Bild vom Juden zusammengefaßt sind. Der Jude in den Bildern ist daher ein künstlich und künstlerisch geschaffenes Symbol und spiegelt das Auge des Betrachters.

Autorin: Julia Schäfer M.A.

Literatur

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Schmölders, Claudia: Das Vorurteil im Leibe. Eine Einführung in die Physiognomik, Berlin 1995.