Wie stirbt man mit metastasen im kopf

Geht das überhaupt, sich auf den Tod eines nahestehenden Menschen vorzubereiten? Auf diese Frage kann es viele Antworten geben. Denn neben dem Umgang mit der psychischen Belastung und der Angst gibt es noch die organisatorische Seite.

Nicht selten sind zu diesem Zeitpunkt auch die Angehörigen selbst sehr erschöpft. Dann sollte man sich nicht scheuen, um Hilfe zu bitten. Vielleicht sind weitere Familienangehörige oder Freundinnen und Freunde bereit, in den letzten Tagen dabei zu bleiben. Viel Unterstützung kann man auch durch die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hospizdienste bekommen. Sie sind für die Sterbebegleitung ausgebildet. Wenn es zur eigenen Einstellung passt, sind auch viele Seelsorgerinnen und Seelsorger bereit, für die Schwerkranken und ihre Angehörige in den letzten Tagen da zu sein.

Die größte Angst haben viele Patientinnen und Patienten vor unerträglichen Schmerzen. Auch die Angst, am Lebensende keine Luft mehr zu bekommen, kann sehr belasten. Diese Ängste quälen auch Angehörige – oft auch dann, wenn diese Beschwerden (noch) gar nicht da sind. Was sich gegen Schmerzen, Atemnot und weitere belastende Beschwerden tun lässt, sollten Betroffene und Angehörige daher möglichst frühzeitig mit dem Ärzteteam und den Pflegefachleuten besprechen: Denn zu wissen, was man tun kann, beruhigt.

© Peter Gericke

Leben & Alltag

Erik, 28, hat einen tödlichen Tumor im Kopf. Geschätzte Überlebensdauer: 6 bis 15 Monate. Mehr als die Hälfte dieser Zeit ist schon rum. Ein Gespräch über die richtige Portion Humor im Angesicht des Todes.

28.09.2017

Erik schreibt einen Blog über seine Krankheit, dessen Motto: „Take tumor with humor.“ Ich wollte ihn treffen, weil ich mir eine Frage stelle: Wie geht ein gutes Leben?

Ich war seit längerer Zeit auf der Suche nach einer Antwort, und wenn mir jemand weiterhelfen könnte, dachte ich, dann eine Person, deren Leben vom Tod direkt bedroht ist. Erik ist nicht die einzige Person, die ich interviewe; ich habe sechs lange Gespräche geführt. Aber Erik war der erste, mit dem ich sprechen wollte.

Als ich an unserem verabredeten Treffpunkt ankomme, steht da ein schlanker junger Mann mit Mountainbike. „Nee, das kann er nicht sein“, denke ich, „der sieht zu gesund aus.“ Aber als er sich suchend umblickt, bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich spreche ihn an. Treffer. Erik trägt Sneaker, hellblaue Shorts. Über seine rechte Kopfhälfte läuft eine lange Narbe. Auf seinem T-Shirt: „Hallo, i bims, der Hirntumor-Patient vong Gesundheit her.“ Dazu kurze braune Haare, offener und freundlicher Blick. Ich denke: „Mit dem würde man auf jeder Party schnell ins Gespräch kommen.“ Wir schlendern zu einem nahen Park und setzen uns auf die Stufen eines kleinen Amphitheaters, wo sonntags immer Karaoke-Sänger auftreten. Erik steckt sich erstmal eine Zigarette an.

Oh, du rauchst?

Ja, ich war immer schon so ein Partyraucher. Ab und zu mal 'ne Zigarette.

Okay, also du rauchst nicht erst seit der Diagnose, weil man sich dann denkt: „Scheiß doch drauf, jetzt ist eh alles egal!“?

Nein. Aber es gibt eine nette Anekdote dazu: Als ich im Dezember 2016 wegen eines epileptischen Anfalls ins Krankenhaus kam und der Tumor diagnostiziert wurde, meinte der Arzt zu mir nach dem Aufwachen: „Herr Klimmek, wie geht's Ihnen denn? Irgendwelche Wünsche, Nöte, Anträge?“ Da hab ich aus Spaß gesagt: „Ja, eine rauchen wär jetzt nicht schlecht.“ Da meinte der Arzt: „Das macht den Kohl jetzt sowieso nicht mehr fett.“

Der Gehirntumor wurde im Winter 2016 diagnostiziert, genau genommen am zweiten Weihnachtsfeiertag. Das ist jetzt, im September 2017, rund neun Monate her – laut der allgemeinen Prognose für die Lebensdauer mit einem Tumor, wie du ihn im Kopf hast, könntest du schon tot sein.

Naja, ganz genau lässt sich das nicht eingrenzen. Weil die Prognose immer auch von der jeweiligen Person abhängt, also beispielsweise davon, wie alt der Patient ist. Oder davon, wie lange der Tumor schon im Kopf sitzt, ob das Ding operabel ist oder nicht. Deswegen hab ich zu allen aus meinem Umfeld nach der Diagnose gesagt: „Macht euch mal keine zu großen Hoffnungen, geht mal so von sechs bis sieben Monaten aus.“ Nicht, dass da am Ende jemand enttäuscht ist, weil es irgendwann doch zu schnell zu Ende ist, und dann sagen sich alle: „Och, hätten wir mal doch mehr Zeit mit ihm verbracht.“

Wie lautet deine persönliche Prognose, was die verbleibende Zeit betrifft?

Also, von den Ärzten sagt dir keiner 'ne Zeit …

… echt, das sagen die einem nicht? Aber das ist doch bescheuert, das muss man doch wissen!

(Erik lacht.) Nee, das sagen die nicht. Die wollen sich ja nicht so weit aus dem Fenster lehnen. Und das ist ja auch schwer; ein Tumor ist ja nicht wie ein Schnupfen: Drei Tage kommt er, drei Tage bleibt er, und dann ist alles vorbei. Es gibt eine Langzeitstudie aus Florida, da wurde bei verschiedenen Patienten mit einem Glioblastom Grad IV, so heißt der Tumor in meinem Kopf auf wissenschaftlich, untersucht, wie lange die Patienten seit der Erstdiagnose noch gelebt haben. Aus diesen Beobachtungen hat man dann statistisch die Prognose abgleitet: Ein 25-jähriger Patient hat ungefähr eine Lebensdauer von 6 bis 15 Monaten.

Gemäß dieser Prognose wäre die Hälfte der dir verbleibenden Zeit schon vorbei.

In einem Krebsforum im Internet habe ich mal den Satz gelesen: „Akzeptiere die Diagnose, aber niemals die Prognose!“ Und das macht für mich auch total Sinn: „Akzeptiere das, was da ist. Lerne, damit umzugehen.“ Aber sich auf eine Prognose zu verlassen, die dir zum Beispiel sagt, du lebst nur noch vier Wochen – und am Ende sind es doch zwölf? Und du hast aber schon Frau und Kinder verlassen, um noch einen drauf zu machen, weil du dachtest, du bist in vier Wochen tot? Wäre doch blöd. Ich glaube, viele zieht so eine Prognose auch runter. Deswegen denke ich eher: „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“

Dieser Text ist Teil des Zusammenhangs: „Wie du zufriedener wirst“

Wie geht's dir momentan?

Ich hatte zwei OPs Anfang des Jahres, die liefen gut, ich habe drei Chemozyklen hinter mir, was auch gut lief, morgen startet der vierte. Ich hatte im Juni mein letztes MRT, da war von dem Tumor kaum noch was zu sehen. Nach dem neuen Chemozyklus wird dann wieder ein Blutbild gemacht, und ich gehe im Schnitt alle zwei Monate zum MRT. Ich müsste nicht so oft gehen, aber ich gehe trotzdem, weil ich Bock drauf habe und neugierig bin.

Bitte kein Mitleid, findet Erik. Lieber noch ´n Witz.

Wo genau sitzt der Tumor denn?

Rechts am Frontallappen. Zwei Zentimeter groß war er bei der Erstdiagnose. Bei den OPs wurden dann so rund 95 Prozent des Tumors entfernt, dann gab's Bestrahlung und Chemo. Ich bin erst vergangene Woche aus der Reha zurückgekommen, drei Wochen schön Beschäftigungstherapie mit Rentnern (Erik lacht). Morgen geht der nächste Zyklus wieder los.

Das hört sich so an, als gehe es dir gerade ganz gut?

Viel zu gut, sage ich immer.

Wieso viel zu gut?

Naja, wenn ich von anderen Patienten höre oder lese, die krasse Schmerzen haben oder denen ständig übel ist wegen der Chemo, muss ich sagen: Mir geht's viel zu gut. Ich hab da keine Probleme.

Was ich nicht verstehe: Wenn der Tumor zu 95 Prozent entfernt ist, bedeutet das nicht, du machst eine sehr gute Entwicklung durch?

Das Problem bei dem Tumor ist, dass er das Hirn infiltriert. Er wächst aus hirneigenem Gewebe heran und infiltriert dann den Rest, über die Blutbahn. Wie ein Tentakel, der sich immer wieder einen Weg sucht. Man kann das nicht heilen, nur aufhalten. Also den Tumor am Wachstum hindern. Die Chemo stört die Zellteilung, wodurch der Tumor sich nicht so krass vermehren kann, die Strahlentherapie zerstört das bösartige Gewebe.

Und trotz allem ist der Tumor immer noch tödlich?

Ja. Also ich gehe davon aus. Dass es irgendwann mal den Moment gibt, in dem man dann nicht mehr aufwacht.

Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen irritiert. Du siehst gar nicht krank aus. Null. Und du wirkst auch nicht so.

Doch, ich bin total krank, ich komme grade aus der Reha! (Erik setzt einen Dackelblick auf, lässt die Schultern hängen und schaut mich mit großen Augen an – nur um sich im nächsten Moment wieder aufzurichten und zu lachen.) Ich denke mal, viel ist bei mir das Alter. Ich bin ja noch jung. Ich mache außerdem ein bisschen Sport, achte auf meine Ernährung. Zum Beispiel Palmöl ess ich nicht mehr, das soll nicht gut sein. Aber ansonsten? Mal gucken, was noch so kommt.

Ich finde das seltsam unwirklich: Wir sitzen jetzt hier, reden ganz normal über dieses Ding in deinem Kopf, du bist total entspannt dabei …

… dabei müsste ich ja eigentlich schon tot sein, richtig!? (lacht)

Nein, so meinte ich das nicht, aber du sitzt hier, schaust dem Tod ins Gesicht und siehst dabei aus wie eine Grinsekatze. Als du die Diagnose damals bekommen hast: Kann man überhaupt begreifen, dass man eventuell in einem halben Jahr schon tot ist?

Joa. Das Ding ist: Am Anfang haben mich viele gefragt „Wie lange hast du noch?“ Oder nach den OPs: „Was kommt jetzt?“ Das war immer so ein „Glaskugeln gucken“, also so in die Zukunft orakeln. Was könnte sein, wenn das und das passieren würde? Aber das bringt alles nichts. Ich habe mir nach der Diagnose gesagt: Lebe den Moment. Hat das nicht auch der Dalai Lama gesagt? Der wurde mal gefragt, was ihn am meisten verblüfft, und da hat er gesagt: „Der Mensch.“ Weil, so ging es zumindest sinngemäß: Der Mensch arbeitet, um Geld zu verdienen. Das killt seine Gesundheit. Dann versucht er irgendwann später, mit dem Geld seine Gesundheit wiederherzustellen und lebt eigentlich die ganze Zeit, als würde er nie sterben. Und wenn man ihn dann fragt, auf dem Sterbebett: „Wie war dein Leben?“, sagt er: „Eigentlich habe ich gar nicht viel gelebt, also nicht in der Gegenwart.“

Eriks Kopf im MRT bei der Erstdiagnose im Dezember 2016. Links die helle Region zeigt den Tumor.

Hat sich dein Leben verändert seit der Diagnose?

Ja, definitiv. Ich trinke keinen Alkohol mehr. Geht auch ohne. Und ich bin neuerdings behindert. Schwerbehindert sogar! Hab ja jetzt 'nen Schwerbehindertenausweis. Ich zaudere weniger als früher. Einfach machen, nicht so viel nachdenken. Die Leute machen sich echt viel zu sehr 'nen Kopf! Wenn morgens dein Nagel eingerissen ist als Frau oder du einen Riesenpickel hast: Ist doch egal.

Außerdem verbringe ich mehr Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden. Weil ich krankgeschrieben bin, hab ich ja nun auch die Zeit dafür. Und ansonsten habe ich mich damit abgefunden, dass es eben ziemlich bald zu Ende sein kann. Wenn's kommt, kommt's. Und bis dahin? Die Zeit genießen.

Du musst mir das erklären: Wie kriegt man so eine lockere Haltung hin, wenn der Tod schon klopfend vor der Tür steht?

Ich bin so der Typ pragmatischer Realist. Wenn ich irgendein Problem habe, schaue ich halt, wie ich es lösen kann. Und wenn ich es allein nicht lösen kann, muss ich mit irgendjemanden drüber sprechen. Alle haben am Anfang nach der Diagnose zu mir gesagt: „Dein Humor ist ja nur 'ne Mauer.“ Aber ich seh das so: Ich hab mein ganzes Leben lang viel gefeiert, ich bin gereist, ich hatte genug Freundinnen, also man könnte sagen: Ich hab viel erlebt. Und als die Diagnose kam, dachte ich dann irgendwann: Die kleinen Dinge zählen doch. So, wie wenn wir jetzt hier in der Sonne sitzen und quatschen. Oder wenn man was Leckeres isst, genießt man das jetzt viel mehr. Früher hab ich mein Essen einfach so reingeschlungen – jetzt nehme ich mir Zeit dafür. Man lebt mehr in der Gegenwart.

Wenn du jetzt auf dein Leben von damals zurückschaust, würdest du sagen, du warst ein zufriedener Mensch?

Schon. Aber ich hab halt gelebt, als würde ich nie sterben. So wie die meisten Menschen. Das typische Jung-Erwachsenen-Leben eben: Partys hier, Partys da, dann saßt du halt total verkatert in der Berufsschule oder im Oberstufenzentrum oder im Büro. Aber irgendwann legt man den Fokus dann halt auf andere Dinge.

Bist du jetzt, nach der Diagnose, zufriedener als der Erik ohne Tumor im Kopf?

Eigentlich könnte man das so sagen, ja. Ich hab einfach auch mehr Zeit als früher. Klar, dafür auch Einschränkungen. Wenn jemand mich fragt: „Hey, was machst du nächstes Jahr? Oder an Silvester, also in vier Monaten?“ Dann sage ich: „Hm, naja, frag mich lieber in zwei Monaten nochmal, und dann gucken wir, wie's aussieht.“ Aber gerade ist mein Leben sehr entspannt. Auch wenn ich im September wieder in meinem Job als Immobilienkaufmann in der Hausverhaltung anfange.

Echt? Trotz des Tumors?

Ja, ich hab mit meiner Chefin gesprochen, die hat gesagt, ich kann immer wiederkommen, wenn ich will. Ein bisschen Routine und Struktur ist gut, auch wenn ich nicht wieder 40 Stunden voll arbeiten werde. Aber stressen lasse ich mich jetzt nicht mehr so einfach. Früher habe ich mich oft wegen so unwichtigen Sachen gestresst. Wenn ich nicht oft genug im Fitnessstudio war, zum Beispiel. Manchmal bin ich deswegen morgens um vier Uhr aufgestanden, um das noch vorm Büro zu schaffen. Oder auch auf der Arbeit. Ich habe immer Ja gesagt, wenn mich jemand gefragt hat, ob ich noch dies oder jenes übernehmen kann. Da saß ich dann, total überladen, dabei hätte ich ja auch mal Nein sagen können.

Kannst du heute besser Nein sagen als vor der Diagnose?

Ja, ich habe das auch in der Reha geübt. Dass man „Nein!“ sagen darf zu Verwandten und Freunden, wenn die einen total überladen mit Aufmerksamkeit. „Kann ich dir irgendwie helfen? Soll ich für dich einkaufen? Soll ich dich irgendwohin fahren?“ Das ist ja total nett, aber ich bin eigentlich ganz froh, dass ich noch meine Selbstständigkeit habe. Oder wenn zu viel Mitleid kommt. Oder wenn die einen so in Watte packen. Dafür bin ich echt überhaupt nicht der Typ, ich mag das nicht, wenn die Leute so drum herum reden. Ich habe einen Gehirntumor, der tödlich ist – so ist es halt. Meine Mutter, klar, die trifft es natürlich sehr hart. Aber ihr habe ich auch letztens gesagt, sie soll doch bitte damit aufhören, mich so überzubemuttern. Weil einen das sonst ein bisschen erdrückt.

Ist es für die, die dir nahestehen, schwieriger als für dich?

Ja, ich glaube schon. Zumal ich ja mit sehr viel Galgenhumor an die Sache herangehe (Er zeigt auf sein T-Shirt.) Das macht es für mich einfacher, weil ich den Leuten offener gegenübertreten kann, als nur zu sagen „Ja, ich bin krank“. (Erik macht wieder den Dackelblick.). Da entsteht dann immer so eine fiese Stille. Aber für die anderen ist das schon manchmal hart.

Apropros T-Shirt: Wie kam es dazu?

Ich war irgendwann nach der Diagnose mal mit 'nem Kumpel hier in Berlin auf der Grünen Woche. Da war so 'ne ältere Dame, die wollte uns Wein aufschwatzen: „Hier, probier mal.“ Und ich so: „Nee, heute nicht.“ Weil ich ja keinen Alkohol mehr trinken darf. Sie wollte nicht lockerlassen, fragte dann wieder, und dann habe ich gesagt: „Heute nicht, wegen Hirntumor.“ Da war sie dann ziemlich geschockt und meinte „Darüber macht man keine Späße!“ Ich hab dann mein Base-Cap abgenommen, zu der Zeit hatte ich von der OP noch die Tacker-Nadeln im Kopf, und hab' ihr die Narbe gezeigt. Dazu meinte sie, das sei der falsche Humor. Also habe ich gedacht, ich brauche irgendwas, an dem man die Krankheit von außen erahnen kann, ohne, dass die Leute total geschockt sind. Ein anderer Kumpel meinte dann, er würde mir so ein T-Shirt drucken. Und als wir irgendwann mal zusammensaßen, kam halt dieser Spruch raus.

Bis auf die Narbe an Eriks rechter Schädelseite ist seine Krankheit von außen nicht zu erkennen.

Eigentlich ist es krass, dass die Leute dir vorschreiben wollen oder eine gewisse Erwartung haben – ich ja auch – wie du dich als Kranker verhalten sollst. Macht dich das nicht sauer?

Nee. Ich nehm den Leuten das nicht übel. Aber was mir erst mit der Krankheit aufgefallen ist: Man ist wirklich krassen Gesellschaftszwängen ausgesetzt. Du sollst linear leben, also immer nach vorn planen. Du musst immer irgendwelche Erwartungen erfüllen. Und wenn du das nicht machst, bist du gleich unten durch.

Humor ist eine Art, sich gegen den Tod zu stellen. Aber auch sonst kämpfst du ja: die OPs, die Chemotherapie, vielleicht noch eine Immuntherapie – gab es anfangs, direkt nach der Diagnose, bei dir auch mal die Überlegung, all das gar nicht zu machen, sondern zu sagen: „Keinen Bock auf Krankenhaus, ich mach mir jetzt einfach die geilste Zeit ever. Reisen, Frauen, Kohle ausgeben!“

Nee, diese Überlegung hatte ich nicht. Ich hätte das auch blöd gefunden, meinen Freunden und meiner Familie gegenüber.

Hast du momentan eigentlich 'ne Freundin?

Ja, oder besser gesagt: eine Sympathisantin. Aber ich habe sie noch nie gesehen. Wir haben uns über meinen Blog kennengelernt, dann viel hin- und hergeschrieben, telefoniert und gemerkt: läuft! Sie liegt allerdings gerade in Heidelberg im Krankenhaus, weil sie Multiple Sklerose hat, und zudem bei ihr vor einiger Zeit Metastasen festgestellt wurden.

Was? Sie hat auch Krebs?

Ja. Ich hatte mir während meiner Reha vorgenommen, dass ich bald mal runterfahre und sie besuche, aber sie hängt ganz schön durch momentan, will generell keinen Besuch. Und als Frau mit Glatze rumzulaufen, ist auch nicht so schön. Vor allem dann nicht, wenn man sich zum ersten Mal gegenübersteht. Wenn es sie nicht gäbe, wäre ich vielleicht nach Südafrika gegangen, mein Cousin hatte mir vor einem Monat einen Job dort angeboten. Die Chemo hätte ich ja auch vor Ort machen können. Aber ich will sie schon gerne mal sehen. Rückblickend hat sie mich vor einer übereilten Entscheidung bewahrt. Zuletzt Mallorca oder in Kürze Italien ziehe ich dann aber doch durch, da das bei uns eher etwas Freundschaftliches ist.

Also machst du noch Pläne für die Zukunft?

Für die größere Zukunft jetzt nicht. Keine langfristigen Pläne. Aber so ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen, wäre doch nicht schlecht.

Was ich mich die ganze Zeit frage, während wir hier sitzen und so entspannt über den Tod plaudern: Hast du gar keine Angst?

Nö. Das ist halt das Mysteriöse. Keine Ahnung; vielleicht haben die Ärzte die Angst mit dem Tumor rausgeschnitten?! (Erik lacht.) Als ich im Krankenhaus lag im Januar, als der Tumor entfernt wurde, da habe ich mich mal erkundigt, wie man überhaupt daran stirbt. Die Ärzte meinten, es könnten verschiedene Körperfunktionen aussetzen, zum Beispiel die Atemfunktion. Weil der Tumor eben im Gehirn setzt und dort alles gesteuert wird. Ich hab dann im Internet ein bisschen gegoogelt: Die meisten Leute mit einem Glioblastom sterben wohl, indem sie einfach einschlafen. Das würde ich mir auch wünschen. Andererseits: Na toll, dann wäre meine Todesmelodie mein Weckerklingeln! Ich wohne allein, und wenn dann jemand in die Wohnung käme und mich finden würde, würde die ganze Zeit die Weckermelodie laufen!

Eriks Kopf im MRT nach zwei Operationen; dort, wo ehemals links der Tumor saß, erkennt man nun ein schwarzes Loch.

Ich habe total viel Angst vor dem Tod. Sogar jetzt schon, dabei bin ich weitestgehend gesund.

Echt, ernsthaft?

Wenn ich so bewusst drüber nachdenke: Ja! Ich mache mir ziemlich in die Hose.

Das einzige, was ich meiner Familie gesagt habe: Sollte ich meine Selbstständigkeit verlieren, also sollte es wirklich so weit kommen, dann sollen sie mich in die Schweiz fahren, oder irgendwohin, wo es Sterbehilfe gibt. Weil, wenn du gar nichts mehr selbst machen kannst, ist das für mich kein Leben mehr. Es geht um ein selbstbestimmtes Leben. Das andere kenne ich von meiner Uroma: Die war dement, da mussten wir die Windeln wechseln als Urenkel, das ist echt kein schönes Leben mehr. So vor dem eigentlichen Ende noch ein halbes Ende, wenn du nicht mehr selbstbestimmt lebst.

Aber solange du noch selbstständig bist: Kann man mit einem Tumor im Kopf ein gutes Leben haben?

Ja. Schau mich doch an. (Er lacht wieder.) Ich kann ja alles noch machen. Fliegen, Sport, Radfahren … ich darf nur keine Kopfbälle mehr machen.

Was ist mit der Sinnlosigkeit deiner Erkrankung? Denkst du darüber nach? Wenn ich du wäre, würde ich wahrscheinlich den ganzen Tag in Selbstmitleid versinken und denken: „Warum ich?“

Nee, darüber hab ich mir nie Gedanken gemacht. Treffen kann's einen immer. Jeder, der wie wir grade im Mauerpark rumsitzt, kann einen Tumor haben, ohne es zu wissen. Wenn du dir darüber die ganze Zeit den Kopf zerbrichst, bist du irgendwann in einem Tunnel. Und aus dem kommst du nicht mehr raus. Da sitzt kein Gott irgendwo, der dich aussucht. So ein Tumor passiert einfach. Zellteilung, da passiert dann ein Fehler, und schon ist der Tumor da.

Bist du wütend?

Ach Quatsch! Auf wen denn?

Ich weiß nicht. Auf Gott, den Tumor, das Schicksal?

Meine Oma hat früher schon immer gesagt: Wenn's einen Gott geben würde, dann gäb es auch keinen Krieg und kein Elend auf der Welt. Deswegen war ich wahrscheinlich schon im Alter von vier oder fünf der jüngste Atheist. Ein Kollege von mir meinte allerdings mal: „Es muss irgendetwas Übergeordnetes geben.“ Irgendeine Spiritualität. Karma. Daran glaube ich. „Tu Gutes und dir widerfährt Gutes.“

Nach der Rechnung hättest du aber in deinem früheren Leben ganz schönen Mist gebaut!

Ja, ich weiß, das beunruhigt mich auch. (Erik lacht.) Aber mir hat mal jemand gesagt: Jeder braucht irgendwas, was ihm Halt gibt. Bei mir ist es dann am ehesten dieser Karma-Gedanke. Damit kann ich mich abfinden, das kommt mir vor wie der beste Kompromiss.

Wie stellst du dir den Tod vor?

Da ist dann halt das Licht aus.

Kommt danach noch was?

Also im besten Fall, würde ich sagen, ist man einfach tot.

Denkst du viel übers Sterben nach?

Nee, darüber eigentlich nicht. Ich habe auch keine Angst vor Schmerzen. Aber ich habe eine Patientenverfügung geschrieben, schon Anfang Januar hab ich die fertiggemacht und meiner Mutter gegeben. Da steht drin, wer sich um mich kümmern soll, wer in meinem Namen handeln darf und wann Schluss sein soll: nämlich dann, wenn ich meinen eigenen Willen nicht mehr äußern kann.

Und was ist mit deiner Beerdigung?

Es gibt da so einen Film, „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“, richtig gut. Da treffen sich zwei Krebskranke und verbringen die schönste Zeit ihres Lebens miteinander. Der eine von den beiden fordert irgendwann von seinen Kumpels die Grabesreden ein, weil er sagt: „Was bringt es mir, wenn ihr die haltet, wenn ich nicht mehr da bin? Ich will die jetzt hören!“ Nach der Diagnose hab ich meinen Kumpels dann auch geschrieben: „Hey, ich will eure Grabesreden hören!“ Einer meinte nur: „Nee, das erzähl ich Dir nicht, ich will ja schön ablästern über dich!“ Also, die nehmen die Sache mittlerweile auch mit Humor. Oder versuchen es zumindest. Ich hab immer gesagt: Wenn es eine Beerdigung gibt, dann muss es irgendwo 'ne Minibar geben. Für die Leute, die nicht so gut mit meinem Tod umgehen können. Die können sich dann betrinken.

Meinst du das ernst oder verarschst du mich gerade?

(Erik lacht). Ich hab mir noch nicht so im Detail Gedanken gemacht, wie meine Beerdigung aussehen könnte, mir ist es eigentlich egal. Aber so ein Grabstein wäre schon nicht schlecht, glaube ich. Viele Menschen können ja mit Trauer nicht so gut umgehen, und mit einem Grabstein hätten die dann was, was sie angucken könnten oder wo sie eine Kerze hinstellen könnten. Andererseits: Ein Grabstein hat so was Verpflichtendes für die Verwandten. Von wegen: „Jetzt muss ich wieder dahin trauern gehen.“ Vielleicht wäre sich als Asche verstreuen zu lassen also doch besser?

Oder eine Baumbestattung?

Man kann sich sogar als Diamant pressen lassen!

What?!

Ja, du kannst deine Asche irgendwie als Schmuckstück pressen lassen!

Wahnsinn! Das ist doch beknackt! Lass uns lieber nochmal über das Leben sprechen. Gibt es eine Liste an Dingen, die du dir für die nächste Zeit noch vorgenommen hast?

Hatte ich mal. Tätowieren oder Motorradführerschein machen stand da zum Beispiel drauf. Aber dann habe ich mir gedacht: Damit plane ich ja schon wieder in die Zukunft. Ich lebe aber lieber im Hier und Jetzt. Was ich aber gerne noch machen will: Die Eltern einer Freundin von mir haben ein Strandhaus in Kalifornien. Da würde ich gern noch hin. Ansonsten schaue ich, was sich spontan ergibt.

Bist du traurig darüber, dass du manche Dinge sehr wahrscheinlich nicht erleben wirst: ein Haus bauen, heiraten, Kinder?

Ein Haus gebaut habe ich schon mit meinem Vater zusammen. Kinder? Ich weiß ja nicht, wie viele kleine Eriks es schon irgendwo gibt. Nein, Quatsch. Im Ernst: So das Klischee – Haus, Frau, Kind und Hund – nee, das will ich gar nicht.

Der Autor Wolfgang Herrndorf, der wie du ein Glioblastom Grad IV im Kopf hatte, der auch einen Blog geschrieben hat so wie du und der sich drei Jahre nach seiner Diagnose selbst tötete, schrieb im Vorfeld zu seiner Situation: „Das größte Glück: bewusstlos sterben.“ Was sagst du dazu?

Das Beste wäre wirklich, einfach einzuschlafen und dann nicht mehr aufzuwachen. Oder selbstbestimmt zu sterben.

Knapp drei Jahre nach Eriks Diagnose habe ich ihn noch einmal zum Gespräch getroffen. Wie es ihm in der Zeit zwischen beiden Interviews ergangen ist, könnt ihr hier nachlesen. Außerdem schreibt Erik nach wie vor seinen Blog Rummelschubsers Blog - Ein Rummelschubser im Kampf vs Glioblastom, auch auf Instragram könnt ihr verfolgen, wie es ihm aktuell geht. Kleiner Spoiler: Mittlerweile ist Erik verheiratet und hat ein Kind.

Redaktion: Theresa Bäuerlein; Illustration: Peter Gericke; Fotos: Martin Gommel; Schlussredaktion:

Wie lange lebt man noch mit Metastasen im Kopf?

Insgesamt beträgt die Lebenserwartung bei Patienten mit Hirnmetastasen nur drei bis sechs Monate. Etwa zehn Prozent der Betroffenen überleben die ersten zwölf Monate nach der Diagnose, nur einzelne Patienten leben noch mehrere Jahre mit ihrer Erkrankung.

Sind Hirnmetastasen Endstadium?

Hirnmetastasen treten meist im Endstadium des Metastasierungsprozesses auf. Damit ist die Lebenserwartung der Patienten in der Regel limitiert.

Wie fühlen sich Metastasen im Kopf an?

Am häufigsten treten Kopfschmerzen sowie neurologische Ausfallserscheinungen (wie Lähmungen und Wortfindungsstörungen) auf. Bei manchen Patienten kommt es bedingt durch eine Flüssigkeitsansammlung im Umkreis der Metastase (Ödem) zusätzlich zu Schwindel, Übelkeit und Erbrechen.

Können Metastasen im Kopf verschwinden?

Die Metastasen werden kleiner oder verschwinden sogar. Sind nur wenige Metastasen im Gehirn vorhanden, kann die sehr gezielte sogenannte stereotaktische Strahlentherapie (Radiochirurgie) z. B. mittels Gamma-Knife oder Cyberknife zum Einsatz kommen.

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