Die geburt der tragödie aus dem geiste der musik zusammenfassung

In diesem seinem ersten Buch vermischen sich die eigene Musikbegeisterung Nietzsches, Schopenhauerisches Gedankengut und der Einfluss Richard Wagners mit Nietzsches wissenschaftlichem Bereich, der altgriechischen Literatur. Das Ergebnis ist eine von der zeitgenössischen Fachwelt entweder ignorierte oder schallend verlachte „Artisten-Metaphysik“ , in der die griechische Tragödie letztendlich nur insofern von Bedeutung ist, als Wagners „Musikdrama“ ihre Wiedergeburt darstellen soll.

Es folgt eine kurze Zusammenfassung der zentralen Aussagen mit Zitaten aus dem Werk selbst nach dem Wortlaut der KSA (Colli/Montinari).

(a) Das „Ur-Eine“ und die Musik

Die Keimzelle seiner „Artisten-Metaphysik“ bildet die intuitive Gewissheit, dass „das Wahrhaft-Seiende und Ur-Eine“ wesenhaft „das ewig Leidende und Widerspruchsvolle“ ist. Grundelement der Welt als solcher ist folglich ein „Urschmerz“, in dem man unschwer den Einfluss der Schopenhauerschen Lehre vom der Welt als dumpfer Drang zugrunde liegenden Willen wiedererkennen kann.

Dieser Urschmerz findet seine Entsprechung in der „lustvollen Empfindung der Dissonanz“ in der Musik. Im hörenden Erleben eines dissonanten Akkordes manifestiert sich das „Streben in’s Unendliche, der Flügelschlag der Sehnsucht“: „dass wir Hören wollen und über das Hören uns zugleich hinaussehnen“. In diesem Sinne nimmt die Musik unter den Vermögen des Menschen eine herausgehobene Sonderstellung ein:

„Der Weltsymbolik der Musik ist eben deshalb mit der Sprache auf keine Weise erschöpfend beizukommen, weil sie sich auf den Urwiderspruch und Urschmerz im Herzen des Ur-Einen symbolisch bezieht, somit eine Sphäre symbolisirt, die über alle Erscheinung und vor aller Erscheinung ist. Ihr gegenüber ist jede Erscheinung nur Gleichniss [...].“

Diese lustvolle Empfindung der Dissonanz als Ausdruck eines sehnsuchtsvollen Urschmerzes ist ein Wesenselement der Tristan-Musik Wagners, in der die an die Grenzen der Tonalität stoßende Dissonanz des Tristan-Akkords bereits in den ersten Takten der Ouvertüre mit dem Sehnsuchts-Motiv verbunden erscheint.

(b) Das „Dionysische“

Vor dem Hintergrund dieser künstlerisch-metaphysischen Weltsicht unterscheidet Nietzsche zwischen zwei „unmittelbaren Kunstzuständen der Natur“ , nämlich dem Dionysischen auf der einen und dem Apollinischen auf der anderen Seite.

Das Dionysische steht dabei für einen verzückten Rauschzustand, in dem der Mensch die Grenzen des Individuums sprengt und selbst zum Kunstwerk wird. Der dionysische Künstler wird aber im Gegensatz hierzu nicht selbst zum Kunstwerk, sondern ahmt den natürlichen Kunstzustand nach: er wird „gänzlich eins“ mit „dem Ur-Einen, seinem Schmerz und Widerspruch [...] und producirt das Abbild dieses Ur-Einen als Musik“.

Die Dichtung stellt nur eine weitere Abstraktion dieser im „dionysischen Prozess“ gewonnenen musikalisch-metaphysischen Erkenntnis dar. Das Gedicht oder die dramatische Dichtung sind nur einzelne Gleichnisse des Wiederscheins des Urschmerzes in der Musik. „Das ‚Ich’ des Lyrikers tönt also aus dem Abgrunde des Seins.“

(c) Das „Apollinische“

Der Vorgang dieser Abstraktion lässt sich mit der Erscheinung eines gleichnisartigen Traumbildes vor dem inneren Auge des Künstlers vergleichen.

Mit dieser Traumanalogie lässt sich der zweite unmittelbare Kunstzustand der Natur beschreiben: im Traum ist jeder träumende Mensch nicht Kunstwerk, sondern Künstler. Im Traumerlebnis erfährt er „die ganze Lust und Weisheit des ‚Scheines’, sammt seiner Schönheit“, ohne dabei in seiner Individualität erschüttert zu werden. In diesem Sinne sei auch Apoll „das herrliche Götterbild des principii individuationis“, der für die maßvolle Einhaltung der Grenzen des Individuums im Gegensatz zur dionysisch-rauschhaften Entgrenzung steht.

(d) Die „Erlösung im Scheine“

Durch das Zusammenwirken sowohl des Apollinischen als auch des Dionysischen wird der Künstler zum Medium, „durch das hindurch das wahrhaft seiende Subject seine Erlösung im Scheine feiert.“

Denn das ewig leidende und ewig widerspruchsvolle Ur-Eine braucht den „lustvollen Schein“ der Kunst „zu seiner steten Erlösung“. Dieser Schein, durch den sich das innerste Wesen der Welt von seinem Urschmerz erlöst, stellt sich aber für uns Menschen „als empirische Realität“ dar. Die Welt, in der wir leben, ist eben jene Welt des Scheines, die das Ur-Eine zum Zwecke seiner Erlösung als „entzückende Vision“ produziert. Der Mensch muss sich also mit der Rolle einer Figur auf einem Gemälde begnügen:

„Denn dies muss uns vor allem, zu unserer Erniedrigung und Erhöhung, deutlich sein, dass die ganze Kunstkomödie durchaus nicht für uns, etwa unsrer Besserung und Bildung wegen, aufgeführt wird, ja dass wir ebensowenig die eigentlichen Schöpfer jener Kunstwelt sind: wohl aber dürfen wir von uns selbst annehmen, dass wir für den wahren Schöpfer derselben schon Bilder und künstlerische Projectionen sind und in der Bedeutung von Kunstwerken unsere höchste Würde haben – denn nur als aesthetisches Phänomen ist das Dasein und die Welt ewig gerechtfertigt: – während freilich unser Bewusstsein über diese unsre Bedeutung kaum ein andres ist als es die auf Leinwand gemalten Krieger von der auf ihr dargestellten Schlacht haben.“

(e)Die „Mysterienlehre der Tragödie“

Das Apollinische und das Dionysische finden beide ihre Vollendung in der attischen Tragödie des Aischylos und Sophokles. Dort redet Dionysus „die Sprache des Apollo, Apollo aber schliesslich die Sprache des Dionysus“ , indem durch apollinische Kunstmittel die dionysische Weisheit mit größtmöglicher Intensität vermittelt wird.

Als zentrale Elemente dieser „Mysterienlehre der Tragödie“ nennt Nietzsche „die Grunderkenntnis von der Einheit alles Vorhandenen, die Betrachtung der Individuation als des Urgrundes des Uebels, die Kunst als die freudige Hoffnung, dass der Bann der Individuation zu zerbrechen sei, als die Ahnung einer wiederhergestellten Einheit.“ Zwar wird der tragische Held in der Tragödie verneint, da er untergehen muss. Doch wird in dieser Verneinung des Helden nur die Ewigkeit des Lebens um so deutlicher fühlbar: „’Wir glauben an das ewige Leben’, so ruft die Tragödie, während die Musik die unmittelbare Idee dieses Lebens ist.“

Zur Erklärung dieser (in Nietzsches Verständnis von Aristoteles als „Katharsis“ bezeichneten) erschütternden Wirkung der Tragödie führt Nietzsche aus:

„Hier wird es nun nöthig, uns mit einem kühnen Anlauf in eine Metaphysik der Kunst hinein zu schwingen, indem ich den früheren Satz wiederhole, dass nur als ein aesthetisches Phänomen das Dasein und die Welt gerechtfertigt erscheint: in welchem Sinne uns gerade der tragische Mythus zu überzeugen hat, dass selbst das Hässliche und Disharmonische ein künstlerisches Spiel ist, welches der Wille, in der ewigen Fülle seiner Lust, mit sich selbst spielt. Dieses schwer zu fassende Urphänomen der dionysischen Kunst wird aber auf directem Wege einzig verständlich und unmittelbar erfasst in der wunderbaren Bedeutung der musikalischen Dissonanz: wie überhaupt die Musik, neben die Welt hingestellt, allein einen Begriff davon geben kann, was unter der Rechtfertigung der Welt als eines aesthetischen Phänomens zu verstehen ist. Die Lust, die der tragische Mythus erzeugt, hat eine gleiche Heimat, wie die lustvolle Empfindung der Dissonanz in der Musik. Das Dionysische, mit seiner selbst am Schmerz perzipierten Urlust, ist der gemeinsame Geburtsschooss der Musik und des tragischen Mythus.“

In der dionysischen Kunst der Tragödie wird das Leben also gerade durch das künstlerisch gerechtfertigte Leiden und Sterben des tragischen Helden gefeiert. Denn diese Verneinung des Lebens des Helden wirkt affirmativ, da sie durch ihre künstlerische Gestaltung als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt und eben nicht sinnlos erscheint. Ebenso wird die reale Welt des täglichen Lebens mit all ihren als negativ empfundenen Aspekten gerechtfertigt, wenn sie von der an der tragischen Kunst geschulten Weltanschauung selbst nur als Kunstwerk des „Weltwillens“ interpretiert wird. In der tragischen Weltanschauung wird demnach alles Leid in der Welt ebenso lustvoll erfahren wie die Dissonanz in der Musik. Die Dissonanz bzw. der Schmerz werden äußerst intensiv erlebt und weisen zugleich über sich hinaus, wodurch ihre „rechtfertigende“, bestätigende Wirkung zustande kommt.

(f)Das Wagnersche „Musikdrama“

Im Vorwort schreibt Nietzsche, dass er von der „Kunst als der höchsten Aufgabe und der eigentlich metaphysischen Thätigkeit dieses Lebens“ im Sinne Wagners als seines erhabenen Vorkämpfers überzeugt sei. Im weiteren Verlauf der Abhandlung zieht er mehrfach Wagner-Zitate zur Erläuterung von Einzelfragen seiner Theorie zur griechischen Tragödie heran, nur um zum Schluss die Perspektive noch auszuweiten: die Probleme der damaligen Zeit seien auf die „Vernichtung des Mythus“ zurückzuführen. Der Wahn eines wissenschaftsgläubigen Zeitalters, mit Mitteln der Naturwissenschaft „bis in die tiefsten Abgründe des Seins“ vorstoßen zu können, werde scheitern. Die Wissenschaft werde an dieser Stelle in Kunst umschlagen, und die neue, tragische Form der Erkenntnis wird die Kunst nötig haben, um erträglich zu sein. Denn nur

„[...] sie allein vermag jene Ekelgedanken über das Entsetzliche oder Absurde des Daseins in Vorstellungen umzubiegen, mit denen sich leben lässt: diese sind das Erhabene als die künstlerische Bändigung des Entsetzlichen und das Komische als die künstlerische Entladung vom Ekel des Absurden.“

In dieser Situation könne nur Wagner als Neuschöpfer des tragischen Mythos den „deutschen Geist“ wieder zurück zu sich selber führen.

Ich selbst habe dazu keine Meinung, finde seine Gedanken aber immer wieder des nach-Denkens wert. Andere Meinungen bzw. Ergänzungen und Korrekturen zu dieser Zusammenfassung würden mich sehr interessieren.

Die geburt der tragödie aus dem geiste der musik zusammenfassung

BBF