Ab welchem Alter lässt die Kraft nach

Regelmäßiges Training kann Muskelverlust im Alter spürbar bremsen.  Foto: ectorfusionart/Adobe Stock

Wenn ältere Menschen gebrechlich werden, liegt es oft an einem über das normale Maß hinausgehenden Muskelabbau. Ein neuer Diagnoseschlüssel soll das Erkennen der sogenannten Sarkopenie erleichtern.

Stuttgart - Bis ins hohe Alter rüstig bleiben, durch die Welt reisen, in den eigenen vier Wänden ohne fremde Hilfe leben – das klingt gut. Doch gelingen kann all das nur, wenn man nicht nur geistig, ­sondern auch körperlich einigermaßen fit bleibt und über ausreichend Muskelkraft verfügt. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Bereits im Alter von 20 bis 30 Jahren erreicht der Mensch seine maximale Muskelmasse. Danach geht sie zurück – im Lauf des Lebens um rund 30 bis 40 Prozent.

Doch bei Sarkopenie – von „sarx“ für Fleisch und „penia“ für Mangel – geht der Verlust an Muskelmasse und Muskelfunktionalität weit über den normalen altersbedingten Abbau hinaus. Sogar Kau- und Schluckmuskulatur können betroffen sein. „Bis zu 50 Prozent der über 80-Jährigen leiden an Sarkopenie“, so der Geriater Reto Kressig vom Felix-Platter-Spital, Universitäre Altersmedizin Basel. Ein übermäßiger Muskelabbau ist mit einem erhöhten Sturzrisiko verbunden.

„Ab einem Alter von 85 Jahren stürzt jeder Zweite einmal jährlich, was oftmals zur Folge hat, dass der Betroffene immobil wird und seine Selbstständigkeit aufgeben muss“, warnt der Altersmedizinprofessor Cornelius Bollheimer, Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Franziskushospital Aachen, Universitätsklinikum Aachen. Das hängt auch damit zusammen, dass die Sarkopenie eine verminderte Knochenfestigkeit und somit Osteoporose begünstigt.

Falsche Ernährung und ein bewegungsarmer Lebensstil sind maßgeblich beteiligt

Die möglichen Ursachen der Erkrankung sind vielfältig: Genetische Veranlagung, fettreiche Diät und Fettleibigkeit, Begleiterkrankungen, eine Ernährung mit wenig Proteinen und Mikronährstoffen sowie ein bewegungsarmer Lebensstil sind maßgeblich beteiligt. Mit zunehmendem Alter – das kann bereits ab 50 Jahren sein – treten diverse Veränderungen auf: Der Muskelstoffwechsel verändert sich ungünstig.

Der Körper verarbeitet Eiweiße schlechter und baut sie nicht mehr richtig in die Muskeln ein. Vermehrt vorhandene freie Fettsäuren werden in die Muskulatur eingebaut. Auftretende niedrigschwellige Entzündungen schädigen die Skelettmuskeln. „Zudem gehen im Rückenmark im Laufe des Lebens aufgrund degenerativer Prozesse auch Motorneuronen verloren. Infolgedessen werden Skelettmuskelfasern von weniger Nerven angesteuert“, berichtet Bollheimer. Auch hormonelle Veränderungen wirken sich negativ auf das Muskelwachstum aus.

In jedem Alter kann man die Muskeln wieder aufbauen

Es ist jedoch in jedem Alter möglich, den Verlauf des Muskelverlustes zu bremsen und Muskeln wieder aufzubauen. „Mit 90 Jahren geht zwar nicht mehr so viel wie mit 50 Jahren, aber es ist ein merklicher Muskelzuwachs möglich“, sagt Clemens Becker, Chefarzt der Klinik für Geriatrische Rehabilitation am Robert-Koch-Krankenhaus in Stuttgart. Wer überprüfen möchte, wie es um sein Skelettmuskelkostüm bestellt ist, kann einen ganz einfachen Test machen. Wer dabei scheitert, sollte zum Arzt gehen.

Seit Anfang 2018 gibt es auch einen speziellen Diagnoseschlüssel für die Sarkopenie. Vor ein paar Jahren zeigte sich, dass die Muskelmasse als alleiniges Kriterium nicht aussagekräftig ist. Es gibt ältere Menschen mit wenig Muskelmasse, aber noch guter Muskelfunktionalität. Der neue ICD-Code M62.50 berücksichtigt nun geringe Muskelmasse und reduzierte Funktionalität. „Durch die verbesserte Diagnostik wird auch die Therapie zielgerichteter“, so der Münchner Akutgeriatriker Michael Drey.

Ab 70 Jahren liegt oft ein Vitamin-D-Mangel vor

Ältere Menschen müssen, gerade auch weil sie Proteine schlechter verwerten können, sehr proteinreich essen. Die Proteine sollten nicht nur von fettarmem Fleisch, sondern auch von Hülsenfrüchten, Nüssen, Milchprodukten, Tofu und Fisch stammen. „Wichtig ist, dass sie viele essenzielle Aminosäuren wie das Leucin liefern“, so Becker. Diese Aminsäuren kann der Körper nicht selbst produzieren. Gute Ernährung allein reiche aber nicht – ebenso wenig wie Proteinkonzentrate, so der Stuttgarter Mediziner. „Beides sollte mit Bewegung, vor allem Krafttraining, abhängig vom Alter zwei- bis dreimal die Woche kombiniert werden.“

Das Krafttraining kann je nach körperlicher Fitness, Lust und Laune unter Anleitung im Fitnessstudio oder aber zu Hause erfolgen. Allerdings fördert das klassische Krafttraining nur Muskelmasse und Muskelkraft. Es verbessert nicht Gleichgewicht und Koordination, weshalb es nicht das Sturzrisiko verringert. Das können nur zusätzliche Gleichgewichtsübungen, sogenanntes Balancetraining. Tai-Chi, Tanzen oder Gartenarbeit seien beispielsweise gut, so Bollheimer.

Ist jemand aber bereits zu gebrechlich oder mangelernährt, was bei alten Menschen nicht selten der Fall ist, dann muss man mit Trainingsreizen aufpassen. „Ab 70 Jahren liegt oft ein Vitamin-D-Mangel vor. Deshalb empfiehlt sich nebst proteinreicher Ernährung und Krafttraining die Einnahme von Vitamin D, damit die Muskeln besser arbeiten“, rät Becker.

Am besten ist es, bereits mit 50 Jahren einer Sarkopenie vorzubeugen

Wie bei jeder Erkrankung stellt sich die Frage nach Medikamenten. Derzeit werden von Forschergruppen drei Medikamente getestet, die das muskelwachstumshemmende Myostatin lahmlegen. Die Studie zu einem vierten Medikament, einem Antikörper gegen Myostatin, sei in Stuttgart bereits abgeschlossen und im Fachblatt „Lancet Diabetes Endocrinol“ veröffentlicht, berichtet Becker. Die Effekte des Myostatin-Antikörpers auf Muskelmasse und -funktionalität seien auch nach 24-wöchiger Einnahme mäßig. „Tatsache ist, dass mit der richtigen Ernährung und Krafttraining größere Effekte möglich sind“, so Becker.

Am besten ist es, bereits mit 50 Jahren oder noch früher mit körperlichem Training und guter Ernährung einer Sarkopenie vorzubeugen. Das Fitnessstudio ist aber nicht jedermanns Sache. Becker und seine Mitarbeiter entwickeln deshalb ein Life-Übungsprogramm, bei dem Training in den Alltag eingebaut wird.

Langsames gehen kann Hinweis auf Sarkopenie sein

Je früher eine Sarkopenie behandelt wird, desto besser für die Betroffenen. Doch dafür ist es nötig, die Krankheit rechtzeitig zu erkennen. Dazu gibt es unterschiedliche Diagnosemethoden. Generell ist es erforderlich, Masse sowie Kraft und Leistungsver­mögen (also Funktionalität) der Muskeln zu bestimmen. Eine ­Sarkopenie liegt dann vor, wenn die Muskelmasse gering und ihre Funktionalität deutlich verringert ist. Einen ersten Anhaltspunkt kann die Ganggeschwindigkeit ­geben. Liegt sie bei weniger als 0,8 Metern pro Sekunde – als bei knapp 2,9 Kilometern pro Stunde –, ist es nötig, weiter zu unter­suchen. Dazu können folgende Kriterien herangezogen werden.

1. Bestimmung der Muskelmasse
Dazu eignet sich eine Bioimpedanzanalyse, die häufig auch zur Bestimmung des Körperfettanteils eingesetzt wird, oder eine Messung mit der Dual-Röntgen-Absorptiometrie, die auch bei einem Osteoporoseverdacht zur Knochendichtemessung verwendet wird.

2. Bestimmung der Muskelkraft
Das ist mit einer Handkraftmessung möglich. Die Kraft der Hand erlaube Rückschlüsse auf die Kraft der übrigen Skelettmuskeln, erläutert Cornelius Bollheimer, Direktor der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Geriatrie am Franziskushospital Aachen.

3. Bestimmung der Muskelleistung
Dafür eignen sich standardisierte Tests wie der Chair-Stand-Test (CST). Beim CST wird gemessen, wie lange der Patient braucht, um zehnmal ohne Armhilfe aufzustehen und sich wieder zu setzen. „Er sollte nicht länger als 30 Sekunden für diesen Bewegungsablauf benötigen“, sagt der Stuttgarter Geriatrie-Professor Clemens Becker.

Tag für Tag benötigen wir jede Menge Muskelkraft und Ausdauer. Und die lässt schon ab einem Alter von ca. 30 Jahren immer mehr nach:

Bis zum 45. Lebensjahr reduziert sich unsere Muskelkraft um ca. fünf Prozent pro Lebensjahrzehnt. Ab 45 beschleunigt sich dieser Prozess: unsere Kraft lässt um bis zu zehn Prozent pro Jahrzehnt nach. Bis zum 80. Lebensjahr schwinden auf diese Weise rund 50 Prozent der Muskelmasse unwiderruflich dahin. Wir verlieren an Kraft und wir haben auch viel weniger Ausdauer. Die Leistungsfähigkeit lässt nach und darunter leidet irgendwann auch unsere Gesundheit. Der Verlust an Kraft ist also auch ein Verlust an Lebensqualität. Wenn wir nichts dagegen unternehmen.

Dem Verlust von Muskelmasse und Kraft können wir nur aktiv begegnen: durch gezieltes Krafttraining wie z.B. mit unserem Kurs Ganzkörpertraining für zuhause. Auch Ausdauertraining hat positive Auswirkungen auf Herz und Kreislauf, aber es schützt eben nicht vor einem Schwund an Muskelmasse. Die Leistungsfähigkeit der Muskulatur verbessert sich nur durch regelmäßiges Krafttraining. Zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche sind dabei schon ausreichend.

Regelmäßiges und gezieltes Krafttraining wirkt zudem vorbeugend gegen Erkrankungen wie Osteoporose, Arteriosklerose, Bluthochdruck und Adipositas. Wenn bereits Schädigungen vorliegen, kann das Training zur Linderung und sogar zur Regeneration beitragen.

Bei untrainierten Erwachsenen ist der Verlust an Kraft wesentlich größer als bei Trainierten. Das liegt auch daran, dass wir im fortgeschrittenen Erwachsenenalter unsere Muskelkraft nicht mehr so intensiv beanspruchen wie in jüngeren Jahren.

Menschen, die nicht aktiv trainieren, verlieren ab einem Alter von 70 Jahren bis zu 60 Prozent ihrer einstigen Leistungsfähigkeit. Über 70jährige, die regelmäßig trainieren, besitzen dagegen noch über 65 Prozent ihres ursprünglichen Leistungsvermögens!

  • Die motorische Leistung verbessert sich um bis zu 50 Prozent.
  • Muskelkraft, Muskelmasse und Knochenfestigkeit nehmen spürbar und messbar zu.
  • Die Beweglichkeit der Gelenke wird erhöht.
  • Gezielte Übungen erhalten und verbessern die Koordinationsfähigkeit
  • Die Gefahr von Verletzungen wird deutlich reduziert.
  • Der Muskelaufbau unterstützt beim Abnehmen, denn die Muskeln sind die Fettverbrennungsanlagen unseres Körpers.
  • Regelmäßiges Krafttraining hält auch geistig fit, dafür gibt es inzwischen eindeutige wissenschaftliche Belege.

Insbesondere Menschen, die vorher gar keinen oder nur wenig Sport gemacht haben, sollten sich vorsichtig und behutsam an das Krafttraining herantasten. Der Körper hat in diesem Alter schon einiges an Beweglichkeit eingebüßt, die Gelenke zeigen erste Abnutzungserscheinungen. Auch das Gefühl für Gleichgewicht und Koordination ist nicht mehr so gut ausgeprägt wie in jüngeren Jahren. Und der Kreislauf eines etwas älteren Menschen braucht eben auch insgesamt etwas länger, bis er auf Touren kommt. Lass Deinem Körper Zeit, sich an die neuen Anforderungen anzupassen und beachte folgende Tipps:

Aufwärmen vor den Trainings-Einheiten

Optimale Trainings-Ergebnisse erhältst Du nur dann, wenn Du Deinen Körper auf die Übungen vorbereitest. Sind die Muskeln „kalt“ und unvorbereitet, dann sind sie auch weniger elastisch. Sie sprechen schlechter auf äußere Anforderungen an, reagieren langsamer und ermüden schneller. Die Verletzungsgefahr steigt. Mehr dazu im Artikel: Richtig Aufwärmen – das A und O eines guten Trainings

Kontrollierte Ausführung der Übungen mit Partner oder Spiegel

Fehlhaltungen schleifen sich sehr schnell ein und können zu schlimmen Verletzungen führen, insbesondere wenn mit Gewichten gearbeitet wird. Man sollte daher am besten zusammen mit einem Partner trainieren. Bitte ihn, Dich regelmäßig zu korrigieren. Achtet gegenseitig darauf, dass jede einzelne Übung sauber und konzentriert ausgeführt wird. Richte Dich dabei exakt nach der Text oder Video-Anleitung und beachte dabei besonders die Hinweise zur korrekten und gelenkschonenden Durchführung.

Nicht Überfordern und nicht Unterfordern

Wer nur einmal die Woche trainiert, unterfordert seine Muskulatur. Die Muskeln müssen mindestens zweimal wöchentlich einem intensiven Trainings-Reiz ausgesetzt werden, um zu wachsen. Ein optimales Ergebnis erzielst Du, indem Du zwei bis dreimal die Woche ca. 30 Minuten trainierst. Häufigeres Training bringt keinen zusätzlichen Effekt, sondern führt im Gegenteil zur Überlastung. Die Muskeln müssen genügend Zeit haben, um zu regenerieren. Das eigentliche Muskelwachstum erfolgt quasi über Nacht, also zwischen den Trainings-Einheiten.

Baue die Muskulatur langsam, aber kontinuierlich auf

Auch hier gilt: Vermeide Überforderungen der Muskulatur – sie können zu Verletzungen führen. Wenn Deine Muskeln untrainiert sind, solltest Du zunächst mit dem eigenen Körpergewicht trainieren. Erst dann, wenn Du ohne große Ermüdung 3 Sätze à 12 – 15 Wiederholungen der jeweiligen Übung absolvieren kannst, kannst Du mit Gewichten arbeiten bzw. die Schwierigkeit der Übung steigern. Passe das Training nach und nach deinem Fortschritt an, damit Deine Muskulatur immer neue Trainingsreize bekommt.

Auch die Ernährung ist wichtig.

Die Muskulatur wird beim Training stark beansprucht. Für eine optimale Regeneration sowie den Aufbauprozess der Muskulatur ist es wichtig, dass wir den Körper unmittelbar nach der Belastung (am besten innerhalb von 30 Minuten nach Trainingsende) mit einer vollwertigen Mahlzeit bestehend aus Kohlenhydraten und Aminosäuren/Proteinen versorgen.

Bei älteren und sogar bei sehr alten Menschen wirkt sich das Training genauso positiv auf die körperliche Gesundheit aus wie bei jungen Erwachsenen. Untersuchungen belegen eine Zunahme der Muskelfaserdicke durch regelmäßiges Krafttraining auch bei Menschen mit über 90 Jahren.

Wer auch mit zunehmendem Alter regelmäßig Sport treibt,

  • gewinnt an Sicherheit im Alltag und damit auch an Selbstvertrauen,
  • verbessert sein Kurzzeitgedächtnis,
  • erhält sich die geistige Leistungsfähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit,
  • verbessert Koordinationsvermögen und Gleichgewichtsgefühl,
  • verfügt über eine stärkere Immunabwehr und eine bessere körperliche Fitness,
  • ist insgesamt gesünder, hat ein besseres körperliches Wohlbefinden und mehr Lebensqualität.

Mit unseren Video-Kursen kannst du unter professioneller Anleitung flexibel zu Hause trainieren

Christine Kammerer
Christines Leidenschaft gilt dem Schreiben und dem Sport. Sie hat beides zum Beruf gemacht und begleitet das fitkurs-Team als freie Autorin und Texterin. Ein idealer Tag beginnt für Christine mit einem guten Text und endet mit einer Runde im Schwimmbad.

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